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Chef von Mitarbeiters Gnaden

Ohne das Einverständnis der Mitarbeiter wird niemand Chef bei der Haufe-umantis AG. Beim St. Galler IT-Unternehmen mit 150 Angestellten wählen die Mitarbeiter die Geschäftsleitung und das mittlere Management. Firmenchef Marc Stoffel sagt, es sei besser, wenn er nicht zu viel selber entscheiden müsse. Der 32-Jährige begann als Praktikant und ist heute Vorgesetzter des Firmengründers.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
marc.stoffel@haufe.com oder www.haufe.com


Herr Stoffel, Sie wurden letzten Sommer von allen 100 Angestellten zum Chef der Haufe-umantis AG gewählt und sind nun im Amt bestätigt worden. Sind Sie der einzige basisdemokratisch legitimierte Chef der Schweiz?
MARC STOFFEL: Wir sind in dieser Hinsicht sicher eine Ausnahme, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Die Einzigen sind wir aber nicht. International sehr erfolgreiche Firmen wie Gore oder Semco setzen auf demokratische Verfahren bei der Wahl des Firmenchefs. Unser Ansatz ist insofern radikal, als tatsächlich jeder einzelne Mitarbeiter mitreden darf – nicht nur bei der Besetzung der obersten Chefstelle, sondern auch bei der zweiten Führungsebene.

Ist das nicht kontraproduktiv? Chefs sollen sich ja nicht in erster Linie bei ihren Mitarbeitern beliebt machen, sondern wenn nötig auch harte Entscheidungen fällen im Sinne des Unternehmens.
Es hängt alles vom Menschenbild ab, das in einem Unternehmen dominiert. Wenn Sie den Mitarbeiter als Arbeitsbiene sehen, der hauptsächlich wegen des Lohns zur Arbeit kommt und sich darauf beschränkt, die Vorgaben seiner Chefs zu erfüllen, dann brauchen sie darüber tatsächlich einen Vorgesetzten, der alles entscheidet und durchsetzt. Wir sind überzeugt, dass im Idealfall die Mitarbeiter das Unternehmen führen. Sie sind am Puls der Marktes, sie haben das Fachwissen. Aufgabe des Chefs ist es bei diesem Verständnis, ihnen Vertrauen zu schenken und dadurch Energie zu entfesseln, Leistung freizusetzen. Als CEO will ich nicht alles entscheiden, wichtiger ist, dass ich ein gutes Umfeld für unternehmerisches Handeln schaffe.

War die basisdemokratische Chefwahl ein Wagnis für das Unternehmen?
Dieses Wahlsystem ist nicht einfach ein Experiment, sondern die natürlich Weiterentwicklung unserer Art der Unternehmensführung. Vor drei Jahren, als die Frage im Raum stand, ob das Unternehmen an die deutsche Haufe-Gruppe verkauft werden soll, haben wir das ebenfalls basisdemokratisch entschieden. Es gibt keine bessere Entscheidung als die, in welche alle Betroffenen involviert sind.

Sie haben letzten Sommer den Mitgründer Hermann Arnold als Chef abgelöst. Er arbeitet nun unter ihnen als Verantwortlicher Produktmanagement. In einem Interview sagte er: «Ein mittelmässiger Chef, der das Team hinter sich hat, ist erfolgreicher als ein genialer, mit dem das Team nicht kann.» Sind Sie dieser mittelmässige Chef?
(Lacht) Ich hoffe nicht. Aber im Ernst: Mir ist völlig klar, dass ich nicht in jedem Fall die besten Entscheidungen fälle und dass ich in vielen Bereichen schlechter Bescheid weiss, als meine Mitarbeiter. Was ich in den acht Jahren, in denen ich hier vom Praktikant zum CEO aufgestiegen bin, gelernt habe, ist, mit Begeisterung zu führen und ein Team zu Höchstleistungen anzuspornen. Entscheidend ist, ob es mir gelingt, eine Vision zu entwickeln und ein klares Bild zu vermitteln, wo wir hinwollen. In den Details bin ich nicht besonders stark.

Dieses Modell der Führung und Chefwahl dürfte nur bei kleinen Unternehmen funktionieren.
Nein, das stimmt nicht. Schauen Sie sich die Entwicklung des brasilianischen Industrieunternehmens Semco an. Der Umsatz stieg in den letzten 30 Jahren von vier Millionen US-Dollar auf über fünf Milliarden Dollar. Das Erfolgsrezept beschrieb Geschäftsführer und Mehrheitseigner Ricardo Semler 1993 im Buch «Das Semco System – Management ohne Manager». Semler stand als überlasteter Unternehmenschef kurz vor einem Burnout. Statt weiterhin alle Macht an sich zu reissen, reduzierte er sein Pensum auf 80 Prozent und verschrieb dem Unternehmen eine demokratische Führung. Sobald eine Einheit die Grösse von 150 Mitarbeitern überstieg, schuf er neue, kleinere Zellen, die sich selber verwalteten. Diese Führungsstruktur hat dazu beigetragen, dass Semco in einem extrem schwierigen Markt sehr stark gewachsen ist.

Grosse Konzerne, die von einem starken Mann geführt werden, sind also anachronistisch?
Konzerne wie Apple, Microsoft oder auch Swisscom und Novartis waren mit diesem Modell sehr erfolgreich. Kurzfristig kann die sehr hierarchische Struktur viel Erfolg bringen, auf Dauer halte ich sie aber für problematisch wegen der Abhängigkeit von einer Person und der Konzentration der unternehmerischen Kompetenz auf wenigen Schultern. Mit zunehmendem Innovationsdruck und höherer Geschwindigkeit auf unseren Märkten werden sich Unternehmen und Führung verändern müssen. Flexibilität und Engagement werden wichtiger sein als Grösse und Macht.

Wie lief die Wahl des Firmenchefs und der Führungscrew bei Ihnen konkret ab?
Es geht nicht nur darum, sich für Person A, B oder C zu entscheiden, sondern das Ganze beginnt mit der Frage, wo wir hinwollen, was wir dafür brauchen und was wir voneinander erwarten. Deshalb macht jedes Team einen Businessplan für die nächsten drei Jahre. Auf dieser Basis werden mögliche Führungskräfte nominiert – man kann sich selber aufstellen, von Mitarbeitern vorgeschlagen werden. Zusätzlich können externe Lösungen vorgeschlagen werden. Dann stellt sich jeder Kandidat vor das Team und erklärt, wie er die Aufgaben erfüllen will und warum er der richtige ist. Schliesslich bewerten die Mitarbeitenden in einem anonymen Verfahren die Kandidaten und geben ihm gleichzeitig ein persönliches Feedback. Auch da haben wir nicht bei Null angefangen, denn es ist schon länger üblich, dass externe Bewerber vor der Einstellung das Team überzeugen müssen.

Wissen die Mitarbeiter wirklich am besten, was die Firma für Chefs braucht?
Wenn sie Vision, Strategie und Geschäftsplan kennen, dann ja. Ich war sehr positiv überrascht, denn natürlich war es eine sehr emotionale Phase und in gewisser Weise auch ein Experiment. Insgesamt haben sich 25 Kandidaten um 21 Führungspositionen beworben. Drei Stellen wurden extern besetzt, elf Vorgesetzte im Amt bestätigt, sieben Mitarbeiter ins Management befördert und eine Führungskraft wurde abgewählt.

Jene, die nicht berücksichtigt wurden, dürften das Unternehmen verlassen.
Nein, es ist uns gelungen, diese Mitarbeiter eng zu begleiten und ihnen eine Rolle zu geben, in der sie sich wohl fühlen. Es muss kein Gesichtsverlust sein, wenn man nicht Chef wird oder wieder eine fachliche Verantwortung übernimmt, zumal bei uns alle unternehmerisch denken und agieren. Diese Kultur hilft uns übrigens nicht nur, die besten Vorgesetzten zu finden, sondern auch, in einer umkämpften Branche die besten Fachleute zu finden. Wir sind im letzten Jahr enorm stark gewachsen, 60 Prozent der neuen Spezialisten haben unsere eigenen Mitarbeiter rekrutiert, weil sie engagierte und glaubwürdige Botschafter des Unternehmens sind. Wir haben in letzter Zeit viele Anfragen von anderen Unternehmen erhalten, die sich für unsere Art der Chefwahl und Rekrutierung interessieren.

Ihr Kerngeschäft ist die Entwicklung von IT-Lösungen für Personalentwicklung und Personalselektion. Ihr Beispiel zeigt doch gerade, dass man solch wichtige Prozesse nicht mit Informatik lösen kann.
Die Informatik ist nicht die Lösung, sondern ein wichtiges Hilfsmittel. Gerade in grossen Unternehmen ist es sehr anspruchsvoll, sicherzustellen, dass die richtigen Leute am richtigen Ort arbeiten und dass ihre Ideen erfasst und sichtbar gemacht werden. Wir sind zu einer Art Facebook für Unternehmen geworden und helfen mit, dass jeder einzelne Mitarbeiter einen maximalen Beitrag zum Unternehmenserfolg beisteuern kann. Allerdings ist jede IT-Lösung nur so gut, wie die Unternehmenskultur, in der sie zum Einsatz kommt.


15. Februar 2014