Warum lesen wir eigentlich Stellenanzeigen, wenn wir uns fragen, was und wie wir künftig arbeiten möchten? Und weshalb zerbrechen wir uns in beruflichen Umbruchphase den Kopf, statt unser Herz und Bauchgefühl zu konsultieren?
3 Thesen aus 1000 Interviews zur Frage, wie wir zu einer sinnvollen und beglückenden Arbeit finden.

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Die meisten Berufstätigen sind gut darauf trainiert, Erwartungen zu erfüllen und durch Anpassung Karriere zu machen. Diese Strategie führt leicht zum Erfolg – und ebenso leicht in Abhängigkeit und Unzufriedenheit. Wer mehr Sinn in der Arbeit sucht, tut gut daran, Pflichtbewusstsein und Vernunft vorübergehend über Bord zu werfen.

Welche Faktoren entscheiden darüber, ob sich jemand bei der Arbeit entfalten kann oder ob die Arbeit ihn auslaugt und erschöpft? Ich habe in den letzten 20 Jahren über 1000 Interviews geführt mit Menschen, die etwas Unverwechselbares tun und bei der Arbeit in ihrem Element sind. Keiner dieser Gesprächspartner konnte mir ein Rezept nennen, wie man die eigene Berufung findet und aufblüht bei der Arbeit. Und doch zeigte sich in den Gesprächen eine Art geistige Verwandtschaft zwischen vielen dieser Interviewpartner, eine Ähnlichkeit der Erfahrungen und Grundhaltungen. So habe ich aus all den Geschichten für das Buch «Out of the Box» zehn Thesen abgeleitet, die bei der Suche nach der eigenen Berufung helfen können. Drei davon sollen hier vorgestellt werden:

These 1: Vernunft wird überschätzt
Wie viele vielversprechende Projekte und mutige Vorhaben sind schon im Geburtsstadium abgewürgt worden durch die warnende Vernunft, die zu bedenken gibt, wie riskant, anmassend, brotlos, schlecht durchdacht eine Idee sei. Keine Frage: Unsere Vernunft ist als Werkzeug von unschätzbarem Wert. Sie hilft uns, ein Ziel auf mehrere Etappen herunter zu brechen, in Szenarien zu denken, aus Fehlern zu lernen, Marktabklärungen durchzuführen, Dinge zu verbessern. Wenn es aber darum geht, in Bewegung zu kommen, sich aus einer misslichen Situation zu befreien, einen Wurf zu wagen, dann ist die Vernunft oft eine schlechte Ratgeberin. Ohne den Bauch und das Herz, ohne Intuition und Sehnsucht kommen wir nicht aus den Startblöcken.
Am Anfang vieler Erfolgsgeschichten stehen mutige, oft unvernünftige Entscheidungen. Richard Reed entschloss sich, nach Studium und ersten Erfahrungen in einem Konzernjob die gut bezahlte Konzernstelle in London aufzugeben und mit zwei Freunden etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Eher zufällig fiel die Wahl auf die Herstellung von Smoothies. Die drei hatten keine Ahnung von diesem Business, verfolgten also ein hochgradig unvernünftiges Projekt. Wären sie vernünftig gewesen, gäbe es heute keine Innocent-Smoothies.

Menschen, die ihren Impulsen folgen, ohne alles mehrfach zu hinterfragen und abzusichern, berichten in erstaunlicher Häufigkeit von wegweisenden Begegnungen im richtigen Moment oder anderen erstaunlichen Zufällen. «Das Leben antwortet mit Zufällen, wenn ein Wunsch aufsteigt, der stark genug ist», hat die Schauspielerin Hanna Schygulla erkannt. Man könnte ergänzen: Wenn wir einen Wunsch frühzeitig mit vernünftigen Argumenten abwürgen, geben wir dem Zufall keine Chance. Zudem überschätzen wir notorisch die Plan- und Kontrollierbarkeit unseres Lebens und sprechen oft im Namen der Vernunft, wenn wir ehrlicherweise von Feigheit oder fehlendem Mut sprechen müssten. Dank dem Psychologie-Professor Gerd Gigerenzer wissen wir, dass Bauchentscheidungen besser ausfallen als aufwendige analytische Entscheidungen – sofern sich der Entscheidende mit der Materie ein wenig auskennt. Für unser Leben dürfen wir das wohl in Anspruch nehmen.

These 2: Ambition ist wichtiger als Ehrgeiz
Vielen Menschen ist beides suspekt, die Ambition und der Ehrgeiz. Sie stellen sich auf den Standpunkt, sich selber nicht so wichtig zu nehmen, und erledigen die Aufgaben, die andere ihnen anvertrauen. Dabei riskieren sie, immer nur die Ziele anderer zu verfolgen, und sich insgeheim darüber zu ärgern, dass ihre Leistung nicht genügend geschätzt, ihr Talent nicht erkannt, ihre Entwicklung nicht gefördert wird; dass sie von Leuten abhängig sind, die sie für unfähig halten. Aber sich selber in den Vordergrund stellen und sich wichtig nehmen, das ist ihnen zuwider. Sie möchten weder anecken noch unbescheiden wirken.
Diese Haltung mag sympathisch sein, aber sie steht der persönlichen Entwicklung im Weg. Wer sein Talent ernst nimmt und etwas bewirken will, darf sich nicht verstecken und tut gut daran, nicht darauf zu warten, bis ihm jemand genau das anbietet, was er sich wünscht. Ohne ein starkes Ego, das etwas verändern will und sich selber einiges zutraut, entsteht nichts Grosses.

Dabei ist die Unterscheidung von Ambition und Ehrgeiz wichtig, wie sie beiden Unternehmensberaterinnen Dorothea Assig und Dorothee Echter in ihrem Buch «Ambition» vornehmen: Ambition will etwas in die Welt bringen, etwas schaffen, was über die eigene Person hinausreicht und andere beflügelt. Ehrgeiz dagegen kann sich auf Äusserlichkeiten wie Geld, Macht oder Berühmtheit beschränken. Laut den beiden Beraterinnen gibt es eine einfache Frage, die hilft, den eigenen Antrieb besser zu verstehen: «Dominiert der Wunsch, etwas zu bekommen, oder das Bedürfnis, etwas in die Welt zu bringen?» Man kann die Frage auch bei der Auswahl von Mitarbeitern, Geschäftspartnern oder Arbeitgebern heranziehen. Oft ist erstaunlich leicht zu erkennen, ob jemand etwas zu geben hat oder vor allem etwas bekommen will.

These 3: Die besten Jobs sind niemals ausgeschrieben
Die meisten Menschen sind überzeugt, dass man sich für einen Beruf entscheiden und um eine Stelle bewerben muss. Das ist nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Mit Blick auf die meisten Unternehmerkarrieren müsste man entgegenhalten: Die besten Jobs sind niemals ausgeschrieben, sondern sie werden geschaffen von Leuten, die wissen, was sie wollen, oder mutig genug sind, sich mit voller Hingabe einem Problem oder einer Leidenschaft zu widmen. Je ambitionierter und selbstbewusster jemand ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er in ein vorgegebenes Stellenprofil passt; und desto vielfältiger sind die Möglichkeiten, sich entlang seiner Herzensangelegenheiten mit Personen oder Unternehmen zu verbinden und so selber einen massgeschneiderten Beruf zu entwickeln.

Das bedeutet nicht, dass man zwingend sein Glück in der Selbständigkeit suchen muss – für manche ist eine Kombination aus Anstellungsverhältnis und freiberuflicher Tätigkeit ideal, andere arbeiten projektweise für verschiedene Arbeitgeber, ohne sich länger zu binden. Entscheidend ist, selber die Verantwortung für die berufliche Situation zu übernehmen und immer wieder zu überprüfen, ob man wirklich etwas bewegen und gestalten kann bei der Arbeit oder ob man primär sich selber verbiegen und Theater spielen muss. Für Angestellte gilt: Wenn sie sich nicht darauf beschränken, ein vorgegebenes Jobprofil auszufüllen, sondern ihren ganz persönlichen Mix an Talenten und Interessen einbringen, haben sie oft mehr Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeit als ihre Kollegen. Manche Aufträge muss man sich selber geben – und mit etwas Glück findet man jemanden, der einen dafür bezahlt. In den Biografien der meisten sehr erfolgreicher Menschen zeigt sich, dass sie niemals auf die perfekte Bühne gebeten wurden, sondern sich diese Bühne selber geschaffen haben.
 
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«Out of the Box – Vom Glück, die eigene Berufung zu leben»

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Mathias Morgenthaler: «Out of the Box – Vom Glück, die eigene Berufung zu leben.» Zytglogge Verlag. 384 Seiten. 34 Franken/Euro. Portofreie Bestellung (in der Schweiz) hier.