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«Wir hatten 10'000 Kunden, aber noch kein Produkt»

Wie verändert man die Elektronikindustrie, die für Arbeits- und Menschenrecht-Verletzungen bei ihren Zulieferern bekannt ist? «Indem wir selber ein faires Mobiltelefon produzieren!», lautet die Antwort des Holländers Bas van Abel. Dem 36-Jährigen gelang es, 21'000 Kunden zu finden für sein Fairphone.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.fairphone.com oder bas@fairphone.com


Herr van Abel, wie kamen Sie auf die verrückte Idee, mit einer Handvoll Mitarbeitern ein Smartphone herzustellen und damit in Konkurrenz zu Milliarden-Konzernen wie Apple, Samsung oder Nokia zu treten?
BAS VAN ABEL: Ich hatte schon immer eine Schwäche für unmögliche Aufgaben... Aber so verrückt, den grossen Anbietern Marktanteile abjagen zu wollen, bin ich dann doch nicht. Unsere Fairphone-Produktion ist nicht in erster Linie ein kommerzielles Unterfangen, sondern ein Statement, eine Bewegung, ein Experiment. Ich habe mich als Mitarbeiter bei der gemeinnützigen Waag Society intensiv mit der Thematik der «blutigen Mineralien» befasst und mehrmals Minen im Ostkongo besucht. Als Industrie-Designer beschäftigte mich zuvor längere Zeit die Frage, wie wir die Technologie sinnvoll in unserem Alltag nutzen und wie man über moderne Medien die Gesellschaft verändern kann.

Aber warum wurden Sie zum Mobiltelefon-Produzenten?
Als Vertreter einer Non-Profit-Organisation versucht man, die Welt zu verbessern. Dabei gibt es zwei Gefahren: dass man zu wenig versteht von den Dingen, die man kritisiert, und dass man wenig bewegen kann, weil man von aussen kritisiert. Irgendwann sagte ich mir: «Wenn wir die Herausforderungen der Elektronik-Industrie wirklich verstehen wollen, müssen wir selber in dieses Business einsteigen.» Das war ziemlich naiv und ziemlich verrückt, aber man muss im Prinzip kein grosser Experte sein, um ein Smartphone zu produzieren. Die Manager von Nokia, Samsung und Apple kennen sich in Detailfragen auch nicht aus, die lagern alles aus, sogar das Design. Sie kümmern sich nur um die Markenführung und das Management der Prozesse. Das trauten wir uns auch zu. Ganz unerfahren war ich ja nicht, ich brachte zwei Studienabschlüsse mit, einen in Kunst und einen in Ingenieurswissenschaften.

Wie haben Sie die Finanzierung geschafft?
Wir kannten uns aus mit Crowdsourcing, der Mittelbeschaffung beim Kunden via Internet. Klar war, dass wir uns durch Transparenz von allem Bisherigen abheben wollten. Unser Smartphone sollte so fair wie möglich produziert werden. Wir legten von Anfang an alle Details offen. Anfang 2013 gründeten wir das Unternehmen und suchten Käufer für das Fairphone – nach drei Wochen hatten bereits über 10'000 Menschen in ganz Europa 325 Euro überwiesen für ein Produkt, das es noch gar nicht gab. Mich hat das einerseits erfreut, andererseits aber auch sehr nervös gemacht. Durch den enormen Zuspruch war klar: Das ist längst nicht mehr nur eine Kampagne, das ist jetzt ein ernsthaftes Business und wir stehen in der Verantwortung.

Die Auslieferung war ursprünglich für Oktober geplant, nun wird es Dezember. War es komplizierter als Sie dachten, Dutzende von Zulieferern zu managen?
(Lacht) Dutzende? Das wäre schön. Es sind Hunderte, denn jeder Zulieferer hat selber Dutzende von Lieferanten. Wenn einer in dieser Lieferkette auch nur ein kleines Problem hat, gerät der Fahrplan durcheinander. (Pause) Aber wenn ich ehrlich bin, lief alles ziemlich reibungslos. Der Bremsfaktor war ich. Als die ersten 10'000 Stück verkauft waren, stand ich ein wenig unter Schock. Wir haben ja keinen Finanzchef, der Finanzchef ist meine Bankkarte; und als ich über diese Karte eine Million Euro an unseren Produktionsbetrieb in China hätte überweisen müssen, da bekam ich kalte Füsse. Ich brauchte sechs zusätzliche Wochen und einige China-Reisen, um mich davon zu überzeugen, dass alles in guten Händen war. Wir machen das ja alle zum ersten Mal; es machte uns allen einwenig Angst, dass wir als Unternehmen ohne Produkt schon in den ersten drei Quartalen acht Millionen Euro Umsatz machten.

Wären Sie in diesem Moment lieber wieder ein NGO-Mitarbeiter gewesen?
Nein, ich liebe dieses Abenteuer. Der unternehmerische Ansatz gibt uns einen anderen Freiheitsgrad und eine höhere Glaubwürdigkeit.

Kritische Stimmen bemängeln, Ihr Fairphone sei eine Mogelpackung. Sie produzieren wie die Konkurrenz in China, Sie wissen wenig über die Herkunft wichtiger Rohstoffe wie Kobalt, Wolfram und Gold, die in Ihren Telefongeräten verbaut sind. Ist es wirklich ein faires Produkt?
Eines vorweg: In jedes Smartphone werden 30 bis 60 Mineralien verbaut. Kein Anbieter der Welt weiss derzeit im Detail, woher diese Baustoffe stammen und wer sie unter welchen Bedingungen gefördert hat. Insofern muss die Antwort lauten: Es gibt kein wirklich faires Smartphone. Wir haben aber sehr viel Aufwand betrieben, um ein Optimum an Fairness zu erreichen. Der Hauptunterschied zur Konkurrenz ist ein ganz grundsätzlicher: Unsere Daseinsberechtigung ist nicht, einen möglichst hohen Profit zu erwirtschaften, sondern für uns ist das Fairphone ein Vehikel, um einen sozialen Impact zu generieren. Wir wollen die Konsumenten wachrütteln und dadurch die Branche verändern. Keiner der bis heute 21'000 Kunden kauft unser Fairphone, weil es mehr bietet als die Geräte der Konkurrenz. Im Zentrum steht unser Versprechen, dass wir damit die Welt ein klein wenig verbessern.

Wie lösen Sie den Fairness-Anspruch ein?
Grundsätzlich durch die ausgeprägte Transparenz: Wir legen sehr detailliert Rechenschaft darüber ab, wofür die 325 Euro, die der Kunde zahlt, verwendet werden. Bei der Konkurrenz hat die Kundschaft keine Ahnung, wie hoch die effektiven Kosten sind, welche Rendite die Firma erwirtschaftet und was damit geschieht. Wir zeigen, welche «konfliktfreien Rohstoffe» wir einsetzen können – etwa Zinn und Coltan aus dem Kongo, wo wir alle Stufen der Lieferkette zurückverfolgen können. Wir deklarieren aber auch, bei welchen Rohstoffen das derzeit noch nicht möglich ist. Wir erklären, warum wir unseren Vorsatz, in Europa zu produzieren, fallen lassen mussten und welchen Kernarbeitsnormen sich unser chinesischer Partner A’Hong verpflichtet hat. Wir suchten lange nach einem Anbieter in China, bei dem wir trotz des kleinen Bestellvolumens etwas bewegen können. Bei A’Hong können wir in Sachen Lohn- und Überzeitregelungen mitreden, zudem ist die Firma transparent und bereit, einen Schritt in Richtung Versammlungsfreiheit und demokratische Wahl von Mitarbeitervertretungen zu machen. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Ein Problem ist, dass viele Smartphones nach ein, zwei Jahren durch neue ersetzt werden. Können Sie daran etwas ändern?
Wir tragen dem Rechnung, indem wir drei Euro des Kaufpreises für ein Recycling-Projekt verwenden, das Akkus und Batterien aus Ghana zur Aufbereitung nach Belgien zurückholt. Zwei Euro sind fürs Recycling der Fairphones reserviert. Zudem haben wir Lieferanten ausgewählt, die dafür bürgen, dass für alle wichtigen Komponenten Ersatzteile verfügbar sind. Der Akku lässt sich auswechseln, bei der Auswahl des Designs und der Materialien haben wir auf Langlebigkeit geachtet. Weiter kann ein Fairphone-Besitzer zwei SIM-Cards ins Gerät einlegen und so Privates und Geschäftliches trennen. Das Bedürfnis besteht schon lange, aber die Telekom-Gesellschaften haben das torpediert, weil sie lieber zwei Geräte verkaufen.

Das alles nützt wenig, solange die Telekom-Unternehmen die Geräte praktisch gratis abgeben.
Die Subventionierung der Smartphones durch Abo-Verpflichtungen ist eine Unsitte. Wir pochen darauf, dass das beim Fairphone nicht geschieht respektive dass der Kunde genau erfährt, was er für die Bindung an einen Anbieter zahlt. Vodafone setzt hier seit kurzem ebenfalls auf Transparenz. Es ist fatal, wenn der Eindruck erweckt wird, die Smartphones kosteten praktisch nichts.

Sie nutzen seit einigen Wochen einen ersten Prototypen des Fairphones. Was hatten Sie vorher für ein Smartphone?
Ehrlich gesagt besass ich vorher gar kein Mobiltelefon. Und das Fairphone, das ich an Konferenzen zeige, nutze ich nur sporadisch, wenn ich im Ausland bin. Smartphones und ich, das passt irgendwie nicht zusammen. Ich verliere sie, vergesse sie aufzuladen, versäume es, Nachrichten zu beantworten... diese Geräte sind einfach nicht für mich geschaffen. Ich geniesse es sehr, offline zu sein. Man hat so viel Ruhe und Zeit zum Nachdenken.

Sie sind Vater dreier kleiner Kinder. Hat Ihre Frau Sie in den letzten Monaten nie gefragt, ob sie nicht einen gewöhnlichen Job machen könnten, statt dauernd nach Kongo oder China zu reisen, um die Smartphone-Industrie zu revolutionieren?
Doch, solche Bemerkungen musste ich mir tatsächlich anhören. Und manchmal frage ich mich auch selber, ob der immense Aufwand gerechtfertigt ist. Aber derzeit überwiegt die Begeisterung darüber, was wir mit unserem kleinen Team von sieben Festangestellten und einigen Freelancern erreichen konnten. Wir haben ein Zeichen gesetzt, das weder die grossen Anbieter noch die Kunden kalt lässt. Wenn die Kunden in den Läden nach Herkunft und Produktionsart einzelner Geräte fragen, kommt etwas in Bewegung. Wenn Konzerne wie Motorola oder Philips sich um faire Rohstoff-Gewinnung im Kongo bemühen, statt diese kriegsgeplagte Region zu meiden und damit weiter ins Elend zu manövrieren, sind das ermutigende Zeichen.

Sie haben sich letzte Woche nach einer Tagung in Bern mit zwei Swisscom-Managern getroffen. Wird das Fairphone bald in den Swisscom-Shops zu kaufen sein?
Es besteht auf beiden Seiten Interesse, aber es gibt noch viele offene Fragen. Wir sind wie erwähnt ein kleines Startup, das geht aufgrund des enormen Medieninteresses manchmal vergessen. Im Prinzip müssten wir zwei Juristen und drei Account Manager einstellen, um die Anforderungen eines Unternehmens wie der Swisscom zu erfüllen. Wir wollen aber kein ungesundes Wachstum und im jetzigen Stadium auch keine Fremdfinanzierung. Daher können wir nur mit Telekom-Firmen zusammenarbeiten, die uns helfen, das Business weiterzuentwickeln, ohne damit sofort viel Geld zu verdienen. Die Holländische Telekom-Gesellschaft KPN hat 1000 Fairphones gekauft, mit einigen anderen Anbietern sind wir im Gespräch.

Wird es ein Fairphone 2 geben?
Ja, wir haben bereits mit der Entwicklung begonnen. Wir wollen noch mehr auf geschlossene Lieferketten setzen, die wir ganz überblicken. Sobald wir wissen, dass wir die Produktion grundsätzlich im Griff haben, können wir noch anspruchsvoller werden in den Details. Unsere grösste Hoffnung ist, dass wir nicht die einzigen Anbieter von Fairphones bleiben. Wir freuen uns auf Nachahmer respektive Konkurrenten – die Pionierrolle kann uns ja niemand mehr nehmen.
 
Wie schaffen Sie es eigentlich, als Kleinstunternehmen ein Smartphone für 400 Franken zu produzieren, wenn die viel grössere Konkurrenz Preise von 500 bis 800 Franken verlangt?
Sie dürfen das Fairphone nicht mit den Spitzenmodellen von Apple oder Samsung vergleichen. Wir haben bewusst ein Mittelklasse-Smartphone entwickelt, das die Ansprüche der meisten Benutzer befriedigt. Es ist leistungsstark, aber nicht auf dem technischen Level der teuersten Modelle der Konkurrenz. Grundsätzlich sind unsere Kosten höher verglichen mit der Konkurrenz, weil wir viel kleinere Stückzahlen produzieren, aber wir haben eine viel kleinere Marge. Derzeit arbeiten wir kostendeckend. Wenn wir künftig mehr produzieren, werden wir Gewinne machen – und diese in weitere Verbesserungen in der Lieferkette investieren.    


2. November 2013