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«Es gibt kein richtiges Leben im falschen Job»

Nach Studium und Konzernkarriere musste sich Catharina Bruns eingestehen, dass sie zwar gestresst und überarbeitet war, aber wenig bewegen konnte und weit unter ihren Möglichkeiten blieb. Ende zwanzig kündigte sie den Job, um den viele sie beneidet hatten, und schuf sich eine Arbeit, für die es keinen Feierabend mehr brauchte. Heute sagt sie von sich: «Ich bin, was ich tue.»

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Sophie Pester


Kontakt und weitere Informationen:
www.workisnotajob.com oder catharina@workisnotajob.de


Das Buch:

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Catharina Bruns: Work is not a Job. Was Arbeit ist, entscheidest du! Campus Verlag, Frankfurt 2013.


Das Mainfest «Work is not a Job»

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Frau Bruns, Sie haben nach dem Studium Karriere gemacht und in Dublin für einen globalen Konzern gearbeitet. Warum haben Sie diesen gut bezahlten Job mit knapp 30 Jahren hingeschmissen?

CATHARINA BRUNS: Ich stamme aus ländlichen Verhältnissen. Meine Eltern waren Bauern, sie hatten keine Wahl, sondern mussten nach der Volksschule im elterlichen Betrieb anpacken. Ich war dagegen privilegiert, konnte nach dem Abitur und einem Sozialjahr studieren. Mir war klar, dass ich Karriere machen und die Welt sehen wollte. Also ging ich sehr ambitioniert zu Werke. Wenn ich jeweils aus Dublin heimkehrte, um Familie und Freunde zu besuchen, waren alle stolz auf mich und dachten: «Die hats geschafft.» Mein Gefühl war aber ein anderes. Ich war extrem ernüchtert, wie die glorifizierte Konzernwelt wirklich aussah.

Was gab Ihnen zu denken?

Das Manko an Zufriedenheit und Sinn. Ich stellte rasch fest, dass in meinem Arbeitsumfeld alle ziemlich unzufrieden waren – weil sie ein sehr enges Jobprofil ausfüllen und fremde Vorgaben abarbeiten mussten. Seien wir ehrlich: In grossen Organisationen bestimmt die Struktur, wann man anwesend zu sein, was man zu tun und zu lassen hat. Eigeninitiative oder Kreativität sind Störfaktoren, am besten fahren die, die ihre Energie mehrheitlich dafür einsetzen, sich mit den richtigen Leuten gut zu stellen. Mich hat das wahnsinnig frustriert: so viele tolle Leute zu sehen, die weit unter ihren Möglichkeiten blieben und sich völlig schicksalsergeben dem System anpassten. Der Witz ist: Obwohl wir wenig bewegen konnten, waren alle gestresst und überarbeitet.

Wann wurde Ihnen klar, dass das nicht Ihre Welt ist?

Jemand ausserhalb des Büros fragte mich mal, was ich tue. Ich begann zu erzählen, merkte aber, dass mein Gegenüber eigentlich nur meine Funktion erfahren wollte. Dezidiert sagte ich zu ihm: «Work is not a Job!» Niemand ist nur «Key Account Manager» oder «Art Director», wir können alle so viel mehr, als wir in irgendwelchen Jobs zeigen dürfen. Ich begann, meinen Blog «workisnotajob» aufzubauen und ein Manifest zu erarbeiten, was Arbeit aus meiner Sicht sein könnte. Und siehe da: Plötzlich ergaben sich viele Kontakte rund um die Welt zu sehr inspirierten Menschen. Ich wollte keine Zeit mehr verlieren und kündigte so schnell es ging, um meine wahre Arbeit in Angriff zu nehmen.

Hatten Sie keine Bedenken, auf die Annehmlichkeiten zu verzichten, die Ihr Job mit sich brachte?

Nein, die Kündigung war eine Befreiung. Ich war danach viel unterwegs, um mich mit Gleichgesinnten zu treffen. In den USA wurde mein «Work is not a Job»-Manifest sehr positiv aufgenommen. Ich investierte mein Erspartes in den Ausbau dieser Bewegung. Nebenbei verdiente ich als Grafikerin ein wenig Geld und konzentrierte mich darauf, Unternehmerin zu werden.

Was haben Sie gelernt in dieser Zeit?

Viele Leute sind extrem unfrei und unzufrieden an ihrem Arbeitsplatz, aber sie wissen nicht, was ihnen fehlt. Kaum einer fragt sich ernsthaft, was ihn bewegt und was er bewegen möchte. Ich durfte erleben, wie befreiend das ist, wenn man den Sprung wagt aus der dumpfen Bürowelt ins echte Leben. Man trifft ganz andere Leute, teilt eine andere Energie. Ich halte nichts davon, Work-Life-Balance anzustreben, diesen faulen Kompromiss zwischen ödem Job und aufregender Freizeit. Es gibt kein echtes Leben im falschen Job. Deshalb sollten wir alles daran setzen, mehr Leben in unsere Arbeit zu bringen. Unsere Arbeit ist eine Plattform für all das, was wir schaffen können und möchten. Wir verbringen unglaublich viel Zeit mit Arbeit – warum sollten wir diese damit verschwenden, etwas zu tun, was uns nichts angeht?

Kann sich denn jeder bei der Arbeit der Selbstverwirklichung widmen? Oder ist das nicht eher der Standpunkt einer privilegierten Minderheit?

Sie meinen: Was wäre, wenn alle so leben würden? Wer würde den Müll entsorgen und die Buchhaltung machen? Zum einen bin ich überzeugt, dass es auch passionierte Müllmänner und Buchhalter gibt. Zum anderen beinhaltet auch gute Arbeit nicht nur Spass, sondern auch Notwendigkeit. Es geht mir nicht um Hedonismus oder Egoismus. Aber machen wir denn die Welt besser, wenn wir darauf verzichten, uns zu verwirklichen? Oder verwirklichen wir dann nicht einfach die Ziele anderer? Es geht darum, sich nicht vor den grundlegenden Fragen zu drücken, die da lauten: Wie will ich leben? Was habe ich zu geben? Was soll durch mich in die Welt kommen? Das ist ergiebiger als zu fragen: Was wird mir angeboten? Wo passe ich rein? Mark Twain sagte: «Die beiden wichtigsten Tage deines Lebens sind der Tag, an dem du geboren wurdest, und der Tag, an dem du herausfindest, warum.»

Wissen Sie es?

Ich glaube, ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass man sich aus unpassenden Strukturen freischwimmen und sein Leben selber gestalten kann. Meine Erfahrung zeigt: Wenn man konsequent auf Dinge setzt, die einem am Herzen liegen, findet man unternehmerische Wege, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Ich gründete zum Beispiel mit einer guten Freundin die Firma Supercraft, über die wir im Abo «Do it yourself»-Sets anbieten, eine Kombination von verschiedenen Materialien und Techniken. Inzwischen haben wir unsere eigene Stoffkollektion und eine eigene Woll-Edition herausgebracht. Ich kann heute etwas anbieten, das ich selber liebe und von dem ich weiss, dass es auch den Alltag anderer Menschen bereichert. Kein Mensch ist happy, wenn er den ganzen Tag vor einem Computerbildschirm sitzt. Deswegen schaffen wir die Grundlagen dafür, dass andere mit den eigenen Händen etwas Schönes erschaffen können. Unser Motto ist: «Mach mehr selbst!»

Und davon leben Sie?

Von unseren eigenen Projekten, ja! Supercraft entwickelt sich sehr gut, auch in der Schweiz haben wir viele Abonnenten. Daneben bauen wir «Lemon Books» auf, eine Plattform für individualisierte Notizhefte. Und ich organisiere mit meiner Freundin und Geschäftspartnerin Sophie Pester jedes Jahr den «Hello Handmade Markt» – einen sehr populären Designmarkt in Hamburg, den sie vor drei Jahren lanciert hat.

Sind Sie heute erfolgreicher als vor Ihrem Umstieg?

Ja, keine Frage. Ich habe jeden Tag mit interessanten Leuten zu tun, gestalte meine Arbeit selbst und sehe direkt, was sie bewirkt. Kennen Sie den Unterschied zwischen Job, Karriere und Berufung? Wer einen Job macht, verfährt nach dem Motto: «Ich bin nicht zuständig.» Wer Karriere macht, ist im Dauerstress und schielt ständig auf Kompensation und Anerkennung. Wer seiner Berufung folgt, kann sagen: «Ich bin, was ich tue.» Das ist manchmal ganz schön anstrengend, weil es eine persönliche, existenzielle Sache ist und man nie Feierabend hat. Man hat sogar manchmal Angst, durchlebt Krisen, scheitert. Es hat aber den unbezahlbaren Vorteil, dass diese Form des Arbeitens uns Energie gibt statt raubt. Arbeit ist so nicht länger eine lästige Pflicht, sondern eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Khalil Gibran schrieb: «Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe.»

Seit Monaten führt ein Büchlein einer australischen Palliativschwester die Bestsellerlisten an, in dem Sterbende erzählen, was sie am meisten bereuen. Die häufigste Antwort lautet: «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie es andere von mir erwarten.» Sie begleiten als Mentorin junge Studentinnen, die gründen möchten. Wird diese Generation es besser machen?

Ich ermutige jede, sich ihrer eigenen Träume bewusst zu werden und diesen zu folgen. Nur indem mehr Menschen ihren eigenen Weg gehen, sich zuständig machen und ökonomische Mündigkeit lernen, wird die Arbeitswelt sich zum Guten verändern. Wir können heute selber entscheiden, auf welcher Seite der Gitterstäbe wir leben wollen. Ob es uns wichtiger ist, mehr zu haben oder mehr zu sein. Nur sagt uns das in der Ausbildung niemand. Das will ich ändern.


21. September 2013