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«Kreativität und Unternehmergeist
stecken in jedem von uns»

Die Lust auf eine Konzernkarriere ist Catharina Bruns schnell vergangen. Statt fremde Vorgaben abzuarbeiten, gründete die heute 37-Jährige eigene Unternehmen und schrieb Bücher darüber, wie beglückend es ist, die Arbeit frei zu gestalten und nicht länger vom Wohlwollen eines Arbeitgebers abhängig zu sein.

Interview: Mathias Morgenthaler   Foto: zvg



Kontakt und weitere Informationen:
www.workisnotajob.com oder studio@workisnotajob.com

Das neue Buch von Catharina Bruns:

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Catharina Bruns / Sophie Pester: «Frei sein statt frei haben. Mit den eigenen Ideen in die kreative berufliche Selbstständigkeit.» Campus 2016.

Frau Bruns, Sie haben nach dem Studium in Dublin für einen globalen Konzern gearbeitet. Warum haben Sie diesen Job mit knapp 30 Jahren aufgegeben?
CATHARINA BRUNS: Ich komme aus dem Hamburger Landgebiet, meine Familie ist hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig. Meine Eltern hatten keine Wahlmöglichkeiten, sondern mussten im elterlichen Betrieb anpacken. Ich dagegen konnte nach dem Abitur studieren und mir überlegen, was ich tun will. Was für eine wahnsinnige Freiheit! Ich wollte das ausnutzen, die Welt sehen und Karriere machen. Aber der vermeintlich attraktive Job zeigte mir schnell: Hier ist es schon wieder vorbei mit der Freiheit. Das war sehr ernüchternd.

Was gab Ihnen zu denken?
Die Inhaltsleere. Ich stellte fest, dass in meinem Arbeitsumfeld alle ziemlich unzufrieden waren – weil sie ein sehr enges Jobprofil ausfüllen und fremde Vorgaben abarbeiten mussten. In grossen Organisationen sind Eigeninitiative oder Kreativität oft Störfaktoren. Mich hat das wahnsinnig frustriert: so viele tolle Kollegen zu sehen, die weit unter ihren Möglichkeiten blieben, weil sie ihre wahren Interessen und Talente dem Job unterordneten. Und obwohl wir so wenig bewegen konnten, waren alle gestresst und überarbeitet.

Haben sich die Unternehmen inzwischen nicht zum Guten verändert?
Ich bin immer mal wieder als Referentin oder Podiumsteilnehmerin zu Gast auf Tagungen zum Thema «Arbeit 4.0» oder «New Work». Meistens komme ich mir dort als selbständige Unternehmerin wie eine Exotin vor. Entrepreneurship und modernes Unternehmertum kommen kurioserweise in der ganzen «New Work»-Debatte kaum vor. So auch vor gut zwei Wochen in Berlin. Da trafen sich Hunderte von gut bezahlten Angestellten, um unter der Regie von Xing für viel Geld «New Work» zu zelebrieren, aber inhaltlich ging es da eher um «New Office». Alle reden von tolleren Rahmenbedingungen für die abhängige Erwerbsarbeit, von Co-Working, Home-Office, Frauenförderung, tollen Tools für straffere Sitzungen und demokratischere Entscheidungen in den Unternehmen. Bloss von echter Unabhängigkeit spricht niemand. «New Work» wird für mich erst interessant, wenn es um Inhalte geht statt um Rahmenbedingungen. Letztlich geht es um eine neue Kultur der Selbständigkeit, um die Frage, ob wir in der Lage sind, selbstbestimmt und auch ohne Anleitung zu arbeiten – und zwar nicht nur im Konzern. Das darf kein Elitenthema sein. Erst wenn wir alle mitgestalten, schöpft unsere Gesellschaft ihr Potenzial aus.

Es wollen und können doch nicht alle Unternehmer werden.
Es kann vielleicht nicht jeder ein Unternehmen aufbauen, aber jeder kann etwas unternehmen und in seinem Bereich wirken. In meinem aktuellen Buch «Frei sein statt frei haben» beschreibe ich, wie man den Unternehmer und Künstler in sich wecken muss, um heute unternehmerisch erfolgreich zu sein. Kreativität und unternehmerische Fähigkeiten stecken in jedem von uns, nur sind sie im Joballtag nicht gefragt und verkümmern. Ich vergesse nie mehr, wie ich mich gefühlt habe, als ich zum ersten Mal meine eigenen Produkte verkaufen konnte. Der Wandel geschieht zunächst durch eine andere Haltung: Wenn du nicht mehr vom Wohlwollen eines Arbeitgebers abhängig bist, sondern Menschen bewegst, die in dich, deine Fähigkeiten, deine Idee investieren, gibt dir das enorm viel Schub und Unabhängigkeit. Und es macht einen glücklich, etwas zu tun, das der eigenen Persönlichkeit entspricht, und sich unternehmerisch eine Aufgabe vorzunehmen, von der man selbst möchte, dass eine Lösung existiert.

Ihr erster Emanzipationsakt war die Kündigung und das Buch «Work is not a Job». Welches waren die nächsten Schritte?
Ich habe mich in den Jahren seit meiner Kündigung von der Solo-Selbstständigkeit zur Entrepreneurin entwickelt. Ich gründete mit Sophie Pester die Firma Supercraft, über die wir «Do it yourself»-Sets anbieten, eine Kombination von verschiedenen Materialien und Techniken für modernes Handarbeiten und Kreativität. Daneben haben wir «Lemon Books» aufgebaut, eine Design-Plattform und Manufaktur für individuelle Notizhefte – da drucken wir für Unternehmen hohe Auflagen, wickeln aber auch Kleinstauflagen für Hochzeiten oder sonstigen privaten Gebrauch ab und entwerfen eigene Kollektionen. Zudem organisieren wir jedes Jahr den «Hello handmade»-Markt – einen Designmarkt für Kreative und kleine Label, der etwa 80 Aussteller und rund 5000 Besucher an einem Tag in Hamburg zusammenbringt. Unsere Projekte haben alle eines gemeinsam: Sie laden andere dazu ein, selbst Gestalter zu sein, und unterstützen so die kreative Selbstständigkeit.

Können auch Nicht-Akademiker ohne finanzielle Reserven diesen Weg gehen?
Ja, heute haben wir dank dem Internet einfachen Zugang zu Wissen. Die Digitalisierung hat wirtschaftliche Prozesse demokratisiert. Man braucht heute weder ein reiches Elternhaus noch einen Maschinenpark, um unternehmerisch erfolgreich sein zu können. Jeder kann ohne nennenswertes Risiko einen Blog starten, Produkte oder Dienstleistungen online anbieten, den Markt testen, Öffentlichkeit erreichen, eine Community bilden. So ist es heute viel leichter, die Wirtschaft und Arbeitswelt mitzugestalten. Gabriele Fischer, Unternehmerin und Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins «Brand eins», hat mal gesagt: «Ich bin Gründerin und Verlegerin geworden, um Journalistin sein zu können.» Ich finde das grossartig. Sich selbstständig zu machen heisst, sich zuständig zu machen und das in die Welt zu bringen, was man vermisst.

Hatten Sie schon immer diesen ausgeprägten Freiheitsdrang?
Ja, bei mir war das Streben nach Eigenständigkeit schon früh sehr ausgeprägt. Ich kam vom Kindergarten nach Hause und beklagte mich, dass man mir dort vorschreiben wollte, was ich mit wem wann spiele. Wir werden früh an Bevormundung und Anleitung gewöhnt. Diese Selbstverständlichkeit der Fremdbestimmung setzt vielen erwachsenen Menschen zu. Ich glaube, dass wir nicht primär an Überforderung leiden, sondern an Unterforderung – oder besser: an sehr einseitiger Belastung. Kein Wunder, dass viele sich permanent danach sehnen, frei zu haben. Es gäbe aber die noch viel schönere Möglichkeit, frei zu sein statt frei zu haben. Meine Überzeugung ist: Nur wer selbst gestaltet, kann frei sein und erleben, dass die Arbeit viel mehr sein kann als eine lästige Pflicht: eine Möglichkeit, sich auszudrücken, unternehmerisch Lösungen für unsere Gesellschaft zu finden, Verantwortung zu übernehmen.

Würde ein Bedingungsloses Grundeinkommen dazu führen, dass mehr Menschen ihre Berufung leben statt bloss einen Job zu machen?
Ich glaube nicht, dass ein Grundeinkommen automatisch zu mehr unternehmerischer Eigeninitiative führen würde. Wichtiger als das Geld ist der Mentalitätswandel. Dank etwas mehr Geld vom Staat hat man doch nicht plötzlich eine Ahnung, wo die Berufung liegt, oder einen ganz anderen Lebensentwurf in Reichweite. Ich glaube deshalb nicht an die revolutionäre Kraft des Grundeinkommens. Ich weiss nicht, wie die Schweizer ticken, aber die Deutschen würden vermutlich die Arbeitszeit etwas reduzieren, vielleicht einmal mehr in Urlaub fahren oder mehr sparen, aber im Grunde weiterarbeiten wie bisher. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber wer sich Freiheit und Unabhängigkeit wünscht, braucht nicht primär Geld vom Staat, sondern ein Konzept, um welches zu verdienen, also ökonomische Mündigkeit plus etwas Mut und Gestaltungslust.


15. April 2017