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Zwei Rebellen auf der Suche nach der magischen Arbeitsformel

Die Holländer Pim de Morree und Joost Minnaar kündigten beide ihre Jobs, weil sie sich nicht mehr von Managern vorschreiben lassen mochten, wie sie zu arbeiten hatten. Als «Corporate Rebels» suchen sie weltweit nach inspirierenden Organisationen, die erfolgreich auf Selbstverantwortung und Vertrauen statt Anweisung und Kontrolle setzen.

Interview: Mathias Morgenthaler


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Sie reisen seit knapp zwei Jahren um die Welt, um Unternehmen kennen zu lernen, in denen die Arbeit Spass macht. Wie wurden Sie zu «Corporate Rebels», zu Rebellen der Arbeitswelt?
JOOST MINNAAR: Am Anfang stand die persönliche Betroffenheit. Nach dem Studium der Nano-Technologie war ich für einen grossen deutschen Industriebetrieb in Barcelona tätig. Wir entwickelten dort in einem Labor flexible Displays – oder besser: Wir hätten das gerne gemacht, kamen aber vor lauter Vorschriften aus der Unternehmenszentrale kaum zum Arbeiten. Wenn dich Manager, die keinen Schimmer von deinem Job haben, mit unendlich vielen Vorschriften und Kontrollmechanismen von der Arbeit abhalten, ist das sehr frustrierend. Deshalb verliessen 60 Prozent unserer Mitarbeiter das Unternehmen innert Jahresfrist, ich inklusive.

Und Sie beide schworen sich, herauszufinden, wie man die Arbeit besser organisieren kann?
PIM DE MORREE: Ich besuchte Joost in dieser Zeit in Barcelona. Damals war ich für eine holländische Firma tätig, die Technologien für die Gepäckabfertigung entwickelte. Auch bei mir galt: Die Arbeit an sich war spannend, aber der Mangel an Freiheit und Vertrauen gepaart mit wuchernder Bürokratie machte den Job sehr anstrengend. Zudem war das alles überstrahlende Ziel des Unternehmens, dass ein maximaler Ertrag für die Aktionäre erwirtschaftet werden musste. Joost und ich diskutierten viel, lasen Bücher über Unternehmen, die anders aufgestellt sind, und entschlossen uns schliesslich, unsere Jobs zu kündigen, um rund um den Globus Unternehmen zu besuchen, welche die Motivation ihrer Mitarbeiter fördern statt ersticken.

Hatten Sie ein Geschäftsmodell für dieses Vorhaben?
MINNAAR: Unser Geschäftsmodell war, in einem Jahr so unsere Ersparnisse aufzubrauchen und reich an Erfahrung und Erkenntnissen zu werden. Leider reichte das Geld nur für ein halbes Jahr, aber unsere Website fand schnell hohe Beachtung und so wurden wir bald für Referate und Workshops eingeladen. Unsere erste Auftraggeberin war eine holländische Bank, die uns abzockte und für 250 Euro vor 500 Leuten sprechen liess. Inzwischen sind wir erfahrener und erzielen mit dem Wissenstransfer regelmässige Einnahmen. Zuletzt referierten wir vor Absolventen der Uni St. Gallen, bei der Italienischen Post und McKinsey. Und bald brechen wir auf nach China, wo wir einen Produktionsbetrieb mit 30’000 Mitarbeitern besuchen; danach geht es weiter nach Brasilien zu Semco. Dieser Maschinenbaubetrieb wurde bekannt, weil ihr Chef Ricardo Semler beim Amtsantritt 60 Prozent des Managements entliess und seinen Angestellten viel Verantwortung übertrug, worauf sich der Umsatz versechsfachte.

Und nun empfehlen Sie allen Unternehmen, es Semco gleichzutun?
DE MORREE: Nein, das ist nie unser Ansatz. Jede Organisation hat ihre Geschichte und ihre Bedürfnisse. Aber schauen Sie die Gallup-Studien an. Zwei Drittel aller Angestellten leisten nur Dienst nach Vorschrift, ein Viertel hat innerlich gekündigt und sabotiert die Arbeit, nur gut zehn Prozent sind mit Engagement am Werk. Das zeigt doch, dass etwas grundlegend falsch läuft. Menschen, die im Privatleben mutige und komplexe Projekte meistern, funktionieren im Job als Befehlsempfänger.
MINNAAR: Wir sehen da einen direkten Zusammenhang zur Arbeitsorganisation. In vielen Unternehmen werden unzählige Regeln eingeführt und Prozesse definiert, damit sich die Leute wie gewünscht verhalten. Es dominieren das Misstrauen und der Kontrollwahn. Erwachsene Menschen, die privat über Hundertausende von Franken autonom entscheiden, dürfen in der Firma keine 100 Franken ausgeben, ohne diverse Formulare auszufüllen und Genehmigungen einzuholen.

Soll jeder Spesen nach Gutdünken verursachen können?
DE MORREE: Bei Netflix gibt es bezüglich Spesen nur eine Anweisung für alle Angestellten: «Handle im besten Interesse von Netflix.» Jeder kann also selber entscheiden, wann ein teures Nachtessen eine gute Investition ist und wie teuer ein Hotelbett sein muss. Das einzige Korrektiv ist die Tatsache, dass die Spesen im Intranet für alle einsehbar sind. Diese kleine Massnahme sorgt dafür, dass es kaum Exzesse gibt. Und wenn doch einmal jemand überbordet, kann man das ansprechen. Die grundlegende Frage ist ja, ob man das System auf die grosse Mehrheit ausrichtet, die Vertrauen mit Leistung zurückzahlt. Oder ob man darauf fokussiert, die kleine Minderheit am Missbrauch zu hindern – und damit allen anderen die Arbeit massiv erschwert. Wer einen Vertrauensvorschuss gibt, spart viel Geld bei der Administration und steigert die Produktivität.

Welche anderen Beispiele für motivierende Arbeitsorganisation haben Sie entdeckt?
MINNAAR: Ich würde nicht von Entdeckungen sprechen – in der Theorie sind diese Dinge ja seit Jahrzehnten beschrieben. Nur scheint dieses Wissen die meisten Unternehmen nie erreicht zu haben. Oder die Manager alter Schule fühlen sich bedroht dadurch. Deswegen sammeln wir Best-Practice-Geschichten, um zu zeigen, was alles möglich ist. Darren Childs zum Beispiel realisierte als Chef des grössten britischen Medienhauses UKTV schnell, dass es in einer so dynamischen Branche keine gute Idee ist, den Mitarbeitern zu sagen, was sie tun sollen. Er schaffte das Chefbüro ebenso ab wie viele andere Statussymbole, führte wöchentliche freiwillige Meetings ein als Entscheidungsgrundlage und liess alle Führungskräfte von ihrem Team beurteilen. Die Krankheitstage reduzierten sich massiv, dafür kannten bald 90 Prozent der Mitarbeiter die zentralen Unternehmenswerte, was zu besseren Ergebnissen führte.
DE MORREE: Eindrücklich ist auch die Geschichte von Frank van Massenhove, der das belgische Sozialministerium komplett umgekrempelt hat. Ihm ist es egal, wo, wann, mit wem und wie lange die Angestellten arbeiten. Es gibt keine Zeit- und keine Ferienerfassung, die Mitarbeiter können ihren Arbeitsplatz nach individuellen Bedürfnissen gestalten, viele arbeiten von zu Hause aus. Im Schnitt sind nur 150 von 1070 Angestellten im Büro, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit dürfte bei 30 Stunden liegen, was niemanden stört, solange die Arbeit gut erledigt wird. Massenhoves Ministerium hat die tiefste Krankheitsrate, Produktivität und Kundenzufriedenheit sind massiv angestiegen und bei Vakanzen hat der rebellische Ministeriumsleiter die Qual der Wahl aus einer Vielzahl hervorragender Bewerbungen.

Gibt es nicht auch Angestellte, die dankbar sind für klare Vorgaben?
DE MORREE: Doch, die gibt es – bei jeder Veränderung müssen Sie damit rechnen, 15 bis 20 Prozent ihrer Leute zu verlieren. Meist sind das jene, die sich gerne davor drücken, Verantwortung zu übernehmen. Die Zahl jener, die gerne mehr bewegen würden, aber gebremst werden, ist um ein Vielfaches grösser. Laut einer holländischen Studie hat nur einer von drei Angestellten das Gefühl, sein Job stimme mit seinen Talenten überein. Die anderen zwei Drittel müssen Aufgaben ausführen, zu denen sie keinen persönlichen Bezug haben.
MINNAAR: Deswegen ist es so wichtig, von einengenden Jobprofilen wegzukommen und den Mitarbeitern zu erlauben, verschiedene Rollen zu übernehmen. Die holländische Beratungsfirma Finext hat kein Organigramm, sondern bloss eine Art To-do-Liste. Jeder Mitarbeiter designt sich seinen Job, indem er verschiedene Rollen übernimmt. Aktivitäten, die niemand übernehmen will, werden entweder gestrichen oder ausgelagert. Moderne Unternehmen wandeln sich zunehmend zu Marktplätzen für interessante Projekte.


9. Dezember 2017