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«Der schüchterne Lernexperte, dem 30000 Eltern vertrauen»

Ein Musterschüler war er nicht, und vielleicht wurde er gerade dadurch zum Experten für effektives Lernen. Direkt nach dem Psychologiestudium machte sich Fabian Grolimund als Lerncoach selbständig – zunächst mit sehr überschaubarem Erfolg. Heute vertrauen Zehntausende von Eltern und Lehrkräften auf den Rat des 37-Jährigen, der die Hälfte seiner Arbeitszeit in Cafés verbringt.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.mit-kindern-lernen.ch oder facebook.com/mitkindernlernen


Zwei Bücher zum Thema von Fabian Grolimund

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Video-Tipp zum Thema Umgang mit Misserfolg

 

Herr Grolimund, Sie leiten die Akademie für Lerncoaching und vermitteln dort unter anderem, wie Kinder am besten Hausaufgaben machen. Sind wir nun so weit, dass schon die Schulkinder einen Coach brauchen?
FABIAN GROLIMUND: Wir sprechen nicht in erster Linie die Kinder, sondern die Eltern an. Viele Eltern sind verzweifelt, weil sie täglich Streit mit ihren Kindern haben wegen der Hausaufgaben. Oft beginnt es damit, dass Kinder mit Lernschwächen oder ADHS unter dem Druck leiden, die Motivation verlieren. Sie sind bedrückt, klagen über Bauchschmerzen, schlafen kaum noch vor Prüfungen. Die Eltern möchten die Situation verändern und greifen mangels Fachwissen oft zu wenig hilfreichen Massnahmen. Sie setzen zusätzlichen Druck auf, drängen das Kind dazu, noch mehr zu üben.

Üben ist ja nicht grundsätzlich die falsche Strategie.
Wenn sich Kinder in der Grundschule zwei Stunden pro Tag mit den Hausaufgaben quälen, führt das selten zu guten Resultaten. Manche Kinder haben heute einen fast so eng getakteten Alltag wie die Manager in den Chefetagen. Viele Frei- und Erholungsräume sind verloren gegangen, Kinder und Eltern sind unter Druck.

Ist das eine neuere Entwicklung?
Ja. Es hat einerseits mit den kleineren Familien zu tun. Meine Grosseltern hatten sechs Kinder, sie konnten sich gar nicht so intensiv um jedes einzelne kümmern wie das heute in den Kleinfamilien geschieht. Kinder lernten dadurch besser, sich selbst zu organisieren, sie übernahmen mehr Verantwortung, hatten gleichzeitig mehr Freiheiten. Andererseits ist der Stellenwert eines guten Schulabschlusses heute sehr hoch. Viele Eltern haben das Gefühl, schon in der Primarschule würden die Weichen für den späteren Erfolg gestellt, ihr Kind dürfe sich keine Schwächen leisten. Der Stoffdruck und die Zukunftsängste der Eltern haben klar zugenommen. 90 Prozent der Eltern mischen sich heute bei den Hausaufgaben ein, in vielen Familien führt das zu Konflikten, was die Eltern-Kind-Beziehung stark belastet.

An all dem können Sie als Lerncoach wenig ändern.
Die Rahmenbedingungen sind tatsächlich eine Herausforderung. Dazu gehört auch, dass Kinder viel stärker abgelenkt sind durch Unterhaltungsangebote als früher. Meine Mutter freute sich jeweils auf die Hausaufgaben, weil sie in dieser Zeit nicht im Haushalt helfen musste. Heute tun sich viele Schulkinder schwer, Computerspiele und Smartphone für eine Weile beiseite zu legen.

Wie tragen Sie zu einem besseren Lernklima bei?
Indem wir die Eltern sensibilisieren und unterstützen. Dazu gehört, die Zukunftsängste zu relativieren und aufzuzeigen, wie durchlässig unser Bildungssystem ist, wie viele Möglichkeiten es beispielsweise gibt, eine Lehre mit der Berufsmatura zu ergänzen oder sich nach einer Erstausbildung weiterzubilden. Das Ziel ist, dass Eltern Misserfolge abfedern können, statt aus Angst zusätzlich Druck aufzusetzen. Auf der anderen Seite möchten wir Eltern vermitteln, wie wirksame Hilfe aussieht. Wie sie ihr Kind zu selbständigem Lernen anleiten und Konflikte reduzieren können. Ein Eckpfeiler ist unser Gratis-Online-Kurs, für den sich rund 30’000 Eltern eingeschrieben haben. Hier geben wir praxisnahe Empfehlungen, wie Eltern ihre Kinder am besten unterstützen – immer mit dem Ziel, dass die Kinder das Lernen positiv erleben und innerlich stark werden.

Wie kamen Sie auf die Idee, sich mit der Akademie für Lerncoaching direkt nach dem Psychologiestudium selbständig zu machen?
Ausschlaggebend war die Lust, jeden Tag selbstbestimmt etwas Neues und Sinnvolles anpacken zu dürfen. Ich empfand schon das Psychologiestudium als sehr theorielastig. Also baute ich noch während des Studiums ein Beratungsangebot für Studierende mit Prüfungsängsten auf und evaluierte dieses im Rahmen meiner Abschlussarbeit. Bald gab es erste Anfragen von Schulen und Eltern. Ich deutete das als gutes Omen, übernahm einen 50-Prozent-Stelle an der Universität und nahm daneben euphorisch das Abenteuer Selbständigkeit in Angriff.

Hat das sofort funktioniert?
Gar nichts hat funktioniert. Es dauerte fünf Jahre, bis ich erstmals Gewinn schrieb. Ich habe alle denkbaren Fehler gemacht: Gleich zu Beginn mietete ich mich in einer Praxis ein, sorgte also zuerst einmal für hohe Fixkosten. Dann produzierte ich einen grässlichen Flyer, eine Textwüste ohne jedes grafische Element, verteilte diesen in der Stadt und wartete auf Anrufe und Mails, die nie eintrafen. Schliesslich organisierten meine Kollegin und ich eine Art Roadshow, vier erste Vorträge zum Thema Hausaufgaben an Primarschulen für Lehrer und Eltern. Am ersten Abend kam niemand, am zweiten eine Person, am dritten Abend fünf Leute und am vierten wieder niemand. Wir verarbeiteten solche Erlebnisse mit dem Frustbier-Ritual: Wir bestellten in der Beiz ein grosses Bier und jammerten, bis es ausgetrunken war. Danach sprachen wir uns Mut zu und trafen uns tags darauf, um nur noch darüber zu reden, was wir besser machen können.

Wie haben Ihre Kollegen und Ihre Frau auf den anhaltenden Misserfolg reagiert?
Meine Frau hat meine Entscheidung immer mitgetragen. Sie ist ebenfalls selbständig, gibt Mal- und Zeichenkurse. Uns war die Freiheit immer wichtiger als die Behaglichkeit. Wir waren überzeugt: Wenn wir unserer Leidenschaft folgen, können wir früher oder später auch gut davon leben – und bis dahin kommen wir mit wenig aus. Das hatte seinen Preis. Bis zu meinem 31. Geburtstag lebte ich mit meiner Frau in einem Ein-Zimmer-Studio mit Kochnische, Ess- und Schlafecke. Manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass viele meiner Studienkollegen an mir vorbeizogen, während ich vor mich hindümpelte und einfach nicht einsehen wollte, dass ich mich verrannt hatte. Aber im Grunde war ich überzeugt, dass die Nachfrage existierte und ich bloss noch nicht die richtige Form gefunden hatte für meine Angebote.

Was ist nach fünf Jahren passiert?
2012 kam plötzlich der Durchbruch. Mein Buch «Mit Kindern lernen» erschien, wir hatten eine neue Website, hatten gemeinsam mit dem Elternmagazin «Fritz + Fränzi» eigene Kurzfilme produziert. Es war, als hätte der Wind gedreht und ginge vieles jetzt mühelos. Aber wir hatten zuvor viel Ausdauer gebraucht und gelernt, Absagen nicht persönlich zu nehmen. Für das Buch hatte ich eine Liste mit 20 potenziellen Verlegern. Als ich die 20. Absage erhalten hatte, begann ich nochmal von vorne und insistierte bei meinem Wunsch-Verleger, bis er das Manuskript wirklich anschaute und es seiner Frau zu Lesen gab, die Lehrerin war. Da entschied er sich, das Risiko einzugehen und meinen Erstling zu verlegen.

Sie wirken eher introvertiert und schüchtern. Sind Sie durch die Selbständigkeit ein guter Verkäufer geworden?
Nein, das liegt mir überhaupt nicht. Aber es gibt nicht nur die laute Push-Marketing-Strategie, sondern auch die Möglichkeit, über gute Inhalte auf sich aufmerksam zu machen. In unserem Fall hiess das, auf der Website viel Wissen gratis zur Verfügung zu stellen und die Inhalte über Social-Media-Kanäle zu teilen. So kamen immer mehr Leute auf uns zu, auch Schulen, die mit uns Veranstaltungen durchführen wollten. Inzwischen laufen die Seminare für Eltern und Fachpersonen so gut, dass meine Kollegin Stefanie Rietzler und ich Vollzeit die Akademie leiten und wir zwei Sekretärinnen beschäftigen können. Meine Arbeitstage sind heute genau so, wie ich mir das immer gewünscht habe. Rund 60 Prozent der Arbeitszeit verbringe ich in Cafés, schreibe dort Bücher und Artikel, bereite Seminare und Vorträge vor und erledige Bürosachen. Meine Frau und ich haben alle Freiheiten, unseren Rhythmus zu leben und uns die Betreuung unserer Kinder im Vorschulalter aufzuteilen, ohne dass wir uns mit einem Arbeitgeber absprechen müssten.

Waren Sie selber eigentlich ein guter Schüler?
Ich war ein sehr verträumtes Kind. Zum Glück gab man mir ein zusätzliches Jahr Zeit für den Kindergarten. Trotzdem verweigerte ich mich in der Schule zu Beginn komplett, las keinen Buchstaben. Rückblickend bin ich sehr dankbar, dass meine damalige Lehrerin, eine sehr warmherzige Frau, meine Eltern beruhigt hat mit den Worten, das sei keine Katastrophe, ich sei ja aufmerksam, aber halt noch blockiert im Ausdruck. Es gab während meiner Schulzeit immer wieder solche Situationen, in denen ich sehr auf den Support der Eltern oder Lehrer angewiesen war. Ich gehörte nicht zu den Kindern, die es so oder so geschafft hätten. Vielleicht ist es mir deshalb ein so grosses Anliegen, dazu beizutragen, dass Eltern und Lehrkräfte ihre unterstützende Rolle noch besser wahrnehmen können.


5. November 2016