Frédéric Engler, Jurist und Lampendesigner

Wenn dem Juristen in der Werkstatt ein Licht aufgeht
Ins Blaue hinaus kündigen, eine Weltreise machen und sich danach als Metallbauer und Lampendesigner versuchen? Was reichlich unvernünftig klingt, war für den Juristen Frédéric Engler genau das Richtige. Zwar verdient der 42-Jährige heute markant weniger als früher, aber er erwacht dafür um 5 Uhr voller Tatendrang. Und nun naht seine erste Ausstellung.
Interview: Mathias Morgenthaler Fotos: zvg
Kontakt und weitere Informationen:
www.atelierengler.com oder info@atelierengler.com

Eines von über 100 Objekten, das Frédéric Engler innert Jahresfrist geschaffen hat.
Herr Engler, es kommt eher selten vor, dass ein Jurist zum Kunsthandwerker wird. Hatten Sie genug von den Gesetzestexten?
FRÉDÉRIC ENGLER: So pauschal möchte ich das nicht sagen. Es hängt ja nicht nur von den Inhalten ab, ob einem der erlernte Beruf gefällt. Anfänglich war ich als Unternehmensjurist bei einem der grossen Online-Marktplätze sehr zufrieden. Wir waren eine dynamische, rasch wachsende Unternehmensgruppe und funktionierten wie eine kleine Familie. Dann kamen Reorganisationen, mehrere Male wechselte das Management. Das eingeschworene Team brach langsam auseinander, am Ende hatte ich eher den Eindruck, wir seien eine Zweckgemeinschaft, die sich nicht mehr primär aufs Produkt und die Kunden fokussierte, sondern auf eigene Vorteile. So nahm meine Identifikation ab, und mit dem letzten Verkauf spürte ich, dass die Zeit reif war für eine Auszeit und eine längere Reise mit meiner Partnerin.
Sie kündigten ins Blaue hinaus?
Ja, mir war es wichtig, mich ganz zu befreien und nicht mit einem Bein im Gewohnten zu verharren. Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Insgesamt war ich neun Monate unterwegs, fünf davon mit meiner Freundin. Wir bereisten Japan, Neuseeland, die Fidschi-Inseln, Südafrika, die Cook-Inseln und Burma, ohne fixes Programm, ohne Eile.
Die Frage, wies danach weitergehen soll, hat Sie nicht gequält?
Nein, zu Beginn hatte ich noch die Illusion, ich würde unterwegs Pläne schmieden, doch dann hatte ich diese Frage einfach im Reisegepäck dabei, ohne konkret daran zu arbeiten. Ich würde sagen: Es arbeitete in mir, ohne dass ich mich anstrengen musste – das Loslassen und Eintauchen in neue Welten war entscheidend. Nach der Rückkehr tat ich mich allerdings schwer damit, wieder Fuss zu fassen. Wenn man so weit gereist ist, kommt einem vieles in der Schweiz ohnehin seltsam vor, wenn du dazu noch keinen Job hast, erst recht. Alle waren wahnsinnig beschäftigt und fanden kaum Zeit für einen gemeinsamen Kaffee, und ich studierte die Stellenanzeigen und merkte, dass ich schon schläfrig wurde beim Durchlesen dieser Jobprofile, auf die ich mich hätte bewerben können.
Wie fanden Sie eine neue Spur?
Eines Tages hat es einfach Klick gemacht. Ich suchte eine öffentliche Werkstatt auf, um eine Halterung für unseren Balkon zu schweissen, und schrieb mich danach gleich für einen Metallbaukurs ein. Die Handarbeit mit Werkzeugen war wie eine Offenbarung für mich. Ich merkte augenblicklich: Da gehöre ich hin – und zwar nicht nur für die Dauer dieses Kurses.
Vorher hatten Sie nichts am Hut gehabt mit Handwerksarbeit?
Ich hatte immer gerne mit den Händen gearbeitet. Deshalb absolvierte ich nach der Grundschule auch verschiedene Schnupperlehren – war dann aber enttäuscht, dass man auch da hauptsächlich am Computer sitzt. Auf Rat meiner Eltern und weil mir verschiedene Berufsberater sehr unterschiedliche Dinge empfahlen, ging ich erst einmal ans Gymnasium, um Zeit zu gewinnen, und entschied mich später für ein Studium der Rechtswissenschaften, weil mich das präzise und klar strukturierte Denken mancher Anwälte sehr beeindruckte. Als ich nach meiner Auszeit in dieser Werkstatt erste Lampen aus Kupfer und Messing baute, fühlte sich das aber so an, als würde ich endlich das tun, was immer schon in mir geschlummert hatte. Es ging mir von Anfang an leicht von der Hand, und allein die Tätigkeit war unmittelbar beglückend, ganz unabhängig vom Resultat.
Dachten Sie bald daran, daraus ein berufliches Standbein zu machen?
Das ist für mich heute noch komplett ungewiss. Im letzten Jahr sind gut und gerne 100 Objekte entstanden. Ich konnte ganz den Materialien und meinen Eingebungen folgen und war überhaupt nicht «eingegliedert in eine fremde Arbeitsorganisation», wie es im Arbeitsrecht so schön heisst. Ich mache das in erster Linie für mich. Das Material, das ich in Restboxen einem Metallladen in Dietlikon abkaufe, steckt den Rahmen des Möglichen ab. Und weil ich nicht alles in meiner Wohnung behalten kann, habe ich einige Objekte an Familie und Freunde verschenkt.
Ganz prosaisch gefragt: Wovon leben Sie seit Ihrer Rückkehr von der Weltreise?
Ganz pathetisch gesagt: Seit einem Jahr spüre ich ganz deutlich, wofür ich lebe, wie gerne ich mit meinen Händen gestalte. Das hat mich angezogen wie ein Magnet, und weil dieser Ruf so stark war, hab ich weder gezweifelt noch gerechnet, sondern erst einmal einfach gemacht. Jetzt finde ich heraus, ob und wie das auch ökonomisch funktionieren kann. Zu einem Teil habe ich vom Ersparten gelebt, zu einem anderen Teil berate ich als selbstständiger Jurist Freelancer, Start-ups und KMU zu rechtlichen Fragen im digitalen Umfeld. Ich habe gemerkt, dass ich im Moment sehr gut mit 4000 Franken im Monat leben kann statt mit 12’000 Franken wie vorher. Natürlich musste ich mich daran gewöhnen, dass der Kontostand erstmals seit Jahren nicht mehr ansteigt, sondern neuerdings abnimmt. Aber Geld ist eine erneuerbare Ressource, Zeit ist es nicht. Ich sehe das als Investition in meine Lebensqualität und vertraue darauf, dass ich immer einen Weg finden werde, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Schöne ist: Seit ich mich handwerklich austobe, habe ich auch wieder viel Freude an der juristischen Arbeit. Und ich stelle staunend fest, was mir der Zufall alles zuträgt.
Zum Beispiel?
Als ich mich gerade zu fragen begann, was ich mit all den Lampen und anderen Objekten machen soll, entdeckte ich eine Anzeige, in der jemand einen Laden für Dezember bis Februar zur Vermietung ausschrieb. Ich war einer von 50 Interessenten – und ich erhielt den Zuschlag, sodass ich jetzt ab 8. Dezember einen eigenen Pop-up-Store im Zürcher Niederdorf betreiben kann. Es gibt so viele kleine Zufälle, die mich in meinem Gefühl bestärken, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wenn man in der Werkstatt arbeitet und für eine neue Kreation noch eine bestimmte Schraube sucht und die erstbeste, die man in die Hände bekommt, gegen alle Wahrscheinlichkeit einfach passt … so etwas erlebst du als Unternehmensjurist relativ selten.
Wie hat Ihr Umfeld auf den Berufswechsel reagiert?
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Manche haben mich anfänglich belächelt und staunen jetzt, da sie meine erste Kollektion sehen, wie ernst es mir damit ist. Andere sagen mir offen, wie sehr sie mich beneiden und dass sie auch diesen Weg gehen möchten – wenn sie bloss wüssten, was das Richtige für sie wäre. Wieder andere sagen, so etwas könne man nur machen, wenn man Erspartes, geringe Fixkosten und keine Kinder habe. Meine Eltern haben sich zuerst wohl etwas Sorgen gemacht. Inzwischen sind sie sehr neugierig und haben schon ein Hotel gebucht, um meine Ausstellung zu besuchen. Und die engsten Freunde sehen schlicht, wie glücklich und energiegeladen ich bin. Ich hätte das selber bis vor kurzem nicht gedacht, aber manchmal erwache ich um 5 Uhr ganz aufgeregt und sehne die Öffnung der Werkstatt herbei.
Was raten Sie Menschen, die unglücklich sind in ihrem angestammten Tätigkeitsfeld und einen ähnlichen Schritt machen möchten?
Das Rezept ist ganz einfach und hat drei Buchstaben: TUN! Sobald du eine Entscheidung getroffen hast, ergibt sich das Weitere auf ganz natürlichem Weg. Es braucht keinen perfekten Plan und gibt kein Richtig und Falsch, wichtig ist, dass man sich auf den Weg macht und sich nicht unnötig unter Druck setzt oder mit anderen vergleicht. Mir hat es geholfen, auf Reisen wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, was ich gerne mache. Und ich habe mir danach gezielt gleichgesinnte Menschen ausgesucht, die mit einer positiven Grundhaltung und Offenheit durchs Leben gehen und von denen ich lernen kann.
24. November 2018