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Eine Schnapsidee, die Kunden in 81 Ländern begeistert

Es gibt sie, die anpackenden Unternehmensberater: Nach einer Vietnam-Reise mit vielen Verständigungsproblemen lancierte Georg Horn ein T-Shirt mit Piktogrammen, die weltweit verstanden werden. Was bei Familie und Freunden Kopfschütteln auslöste, fand bei Kunden reissenden Absatz. Nun startet der 29-Jährige sein nächstes Wagnis.

Interview: Mathias Morgenthaler  Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.iconspeak.worldoderwww.varia.media

Herr Horn, wie wurden Sie zum Erfinder eines T-Shirts, das in 81 Ländern gekauft und getragen wird?
GEORG HORN: Unternehmertum beginnt nie mit einer Lösung, sondern immer mit einem Problem. In meinem Fall war es so, dass ich nach Studienabschluss und erstem Job 102 Tage durch Asien reiste. In Vietnam waren mein Studienfreund Florian Nast und ich mit Motorrädern unterwegs. Immer wieder wurden wir durch Defekte gestoppt und mussten jemanden suchen, der die billigen chinesischen Honda-Kopien reparierte. In abgelegenen Gegenden war die Verständigung sehr schwierig: Englisch und Französisch sprach niemand, auch mit Händen und Füssen konnten wir uns kaum mitteilen. Irgendwann begannen wir, Symbole zu zeichnen, etwa eine Sonne und eine Regenwolke, um die lokale Wetterprognose oder die nächste Werkstatt zu erfragen. Das funktionierte erstaunlich gut. Eines Abends, als wir die Abenteuer des Tages mit lokalem Schnaps aus einer PET-Flasche begossen, kamen wir auf die Idee, ein T-Shirt mit universellen Piktogrammen zu lancieren.

Eine Schnapsidee mit Folgen?
Zunächst nicht, nein. Wir setzten beide unsere Reise auf unterschiedlichen Pfaden fort. Dann absolvierte ich mein Masterstudium in Tilburg und trat danach eine Stelle in der Unternehmensberatung in München an. Ich muss dazu sagen, dass die Reaktionen auf unsere Piktogramm-T-Shirt-Idee in unserem Freundeskreis und in der Familie nicht gerade ermutigend waren. Als wir ein paar Entwürfe herumzeigten, war der Tenor: Lustige Zeichnungen, aber sowas will niemand kaufen. Und T-Shirts gebe es nun wirklich mehr als genug. Erst als wir beide schon Vollzeit in unseren Jobs arbeiteten, sagte mein Freund zu mir: «Wollen wir unser T-Shirt-Ding nicht einfach Mal versuchen?»

Wie zieht man neben einem Vollzeit-Job ein T-Shirt-Business auf?
Man schläft einige Nächte gar nicht und die übrigen nur zwischen 2 und 7 Uhr (lacht). Aber der Startschuss war ganz entspannt: Wir wählten aus unseren vielen Entwürfen 39 essenzielle Zeichen aus und entschieden uns bei jedem Thema für den universellsten und wenn möglich witzigsten optischen Zugang. Dann suchten wir einen Lieferanten und folgten dabei unserem Bauchgefühl, wonach die USA rasch unser wichtigster Markt werden würde. Wir gestalteten einen Webshop und bestellten einige Muster-Shirts. Da wir erst Shirts in Auftrag gaben, wenn Bestellungen eingetroffen waren, und diese direkt an die Kunden schicken liessen, beschränkte sich unser unternehmerisches Risiko auf je 400 Franken. Es gab zu Beginn auch keine Firma, wir waren schlicht eine einfache Gesellschaft und nahmen uns vor, eine GmbH zu gründen, sobald wir einen Gesamtumsatz von 20’000 Franken erreichten. Dann ging das Projekt buchstäblich durch die Decke und wir erzielten bald Tagesumsätze von 20’000 Franken und mehr.

Die Familie hatte skeptisch reagiert – wie konnten Sie Kunden überzeugen?
Ich erinnere mich noch an den Moment, in dem wir die erste Benachrichtigung erhielten, es sei eine Bestellung eingegangen. Wir waren sehr aufgeregt, bis sich die erste Kundin als meine Mutter entpuppte. Der Durchbruch gelang mit Hilfe einiger internationaler Blogs. Ich mochte den australischen Blog «Lost At E Minor» und schickte den Machern eine Story über uns. Zuerst lehnten sie ab, aber im zweiten Anlauf publizierten sie die Geschichte. Von da an war die Lawine nicht mehr aufzuhalten. Die Bestellungen schossen in die Höhe, es hagelte Mails mit Kundenfragen und Medienanfragen aus aller Welt. Florian, mein Mitgründer, war zu der Zeit auf Rucksackreise in Mittelamerika und trug dabei eines unserer Muster-Shirts. Eines Abends, als er nach einer Vulkan-Tour wieder in sein Hostel zurückkehrte, wurde er wie ein Prominenter empfangen. Er checkte seine Mails und begriff: Wir waren innert Tagen zu einer Internet-Sensation geworden. Florian musste daraufhin seine Reise abbrechen, um mir mit Iconspeak unter die Arme zu greifen.

Wie haben Sie diesen plötzlichen Erfolg verdaut?
Wir wurden komplett überrumpelt und staunten, dass sich die Geschichte wie ein Lauffeuer verbreitete. Ich lebte in zwei Welten: Am Tag beriet ich als Unternehmensberater börsenkotierte Konzerne und staunte, wie schwierig es war, in solch grossen Dampfern den Kurs anzupassen. Und abends oder in der Nacht lebten wir unser Start-up-Märchen. Es war ein seltsames Gefühl, plötzlich auf der Startseite der CNN-Nachrichtenseite vorgestellt zu werden, oder am frühen Morgen um 6 Uhr einem Südafrikanischen Radiosender ein Telefoninterview zu geben. Der Sender berichtete davor über den Prozess gegen den Sprinter Oscar Pistorius berichtet, dann wurde unsere Iconspeak-Story vorgestellt und anschliessend über eine Nashornumsiedlung diskutiert. Erst als die Radiomoderatorin mich im Live-Interview fragte, ob wir eigentlich wüssten, dass wir das meistdiskutierte Shirt unserer Zeit kreiert hätten, wurde mir bewusst, was da gerade abging.

Verfielen Sie in Goldgräberstimmung?
Es war schon speziell, dass ich in manchen Monaten mit dem schrägen T-Shirt-Projekt deutlich mehr verdiente als mit der anerkannten Unternehmensberatung. Aber wir wussten auch beide, dass wir das nicht die nächsten zehn Jahre machen wollten und dass der Hype nicht ewig dauern würde. Also reinvestierten wir einen Teil der Einnahmen, um die Marke und das Design zu schützen und gegen Plagiate vorgehen zu können, auch im Hinblick auf einen späteren Verkauf. Heute, etwas mehr als zwei Jahre nach der Gründung der Firma, haben wir Kunden aus 81 Ländern und auf der Website Besucher aus allen Ländern dieser Welt ausser Eritrea und Nordkorea. Natürlich macht uns das stolz. Aber wir sind keine Millionäre geworden und das war auch nie unser Ziel. Wir hatten noch nicht einmal das Ziel, Unternehmer zu werden, wir wollten einfach ein Problem lösen auf eine Art, die uns selber Spass machte. Ich finde, darauf sollte man den Fokus richten. Wer sich wegen des gegenwärtigen Hypes das Ziel setzt, ein cooler Unternehmer zu werden, zielt am Wesentlichen vorbei.

Sie hatten zuvor die KV-Lehre absolviert und unter anderem im Edelmetallhandel und im Luftfrachtbereich gearbeitet. Haben Sie beim Aufbau der eigenen Firma von diesen Erfahrungen profitiert?
Ich hatte schon in jungen Jahren viele Interessen. Mein Bruder hatte dagegen in seinem gesamten Leben nur zwei Berufsziele. Er verwarf das erste – den Lokführer – zugunsten des Pilotenberufs. Ich war weniger fokussiert. Als Bub wollte ich unter anderem Skiliftanbügler werden, weil das in Gstaad coole Typen waren, die an der Sonne arbeiten und Musik hören konnten. Später erfuhr ich auf der Berufsberatung, dass ich Autolackierer oder Koch werden sollte. Ich entschied mich fürs KV, weil Kochen auch ein tolles Hobby ist. Und dann las ich zu Beginn meiner Lehrzeit das Buch «Freakonomics» von Stephen Dubner, das ökonomische Zusammenhänge packend vermittelt, etwa am Beispiel von Drogenclans. Diese Lektüre und gute Lehrer weckten meinen Wissensdurst und führten mich an die Hochschule und später in die Unternehmensberatung. Im Start-up-Alltag kam mir der weite Horizont sicher zu Gute. Doch jetzt steht der nächste Schritt an. Ich will nicht länger nur tun, was ich gut kann und womit sich Geld verdienen lässt, sondern etwas schaffen, was die Welt braucht und wofür ich wirklich brenne.

Sie kündigten Ihren Beraterjob, um Ihr neues Unternehmen Varia aufzubauen. Was haben Sie vor?
Varia wird eine Medienplattform, die zu den wichtigen Themen verschiedene Perspektiven anbietet und so zu mehr Ausgewogenheit beiträgt. Wenn sich der Medienkonsum auf das Lesen von Schlagzeilen oder die Verstärkung der eigenen Meinung in unserer sozialen Filterblase beschränkt, gefährdet das über kurz oder lang unsere Demokratie. Wenn wir aber über ein Thema – etwa die politische Lage in Nordkorea – nicht nur die westeuropäische Sicht, sondern auch die Perspektive von China oder Russland kennen, sind wir besser informiert. So wollen wir in einem ersten Schritt verschiedene Perspektiven zu Schlüsselthemen anbieten, später auch ermöglichen, dass Nutzer zu beliebigen Themen ihren Horizont erweitern können. Kurz: Wir wollen die erste Plattform für «Perspectives as a Service» werden. Ende Oktober gehen wir mit unserer Beta-Version online – und erneut habe ich keine Ahnung, was dann passieren wird.


8. September 2018