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«Die Selbstständigkeit fordert dich ständig auf, zu lernen und zu wachsen»

Als Janna Scharfenberg während ihres Medizinstudiums erste Praktika in Arztpraxen und Spitälern absolvierte, erschrak sie, wie sehr alles auf Reparatur ausgerichtet war und wie wenig Zeit mit den Patienten blieb. So fasste die heute 32-Jährige den Entschluss, sich als Expertin für Gesundheit, Ernährung und Bewegung selbstständig zu machen statt im Gesundheitssystem krank zu werden.

Interview: Mathias Morgenthaler  Foto: Alysa Aeschbacher


Kontakt und weitere Informationen:
https://drjannascharfenberg.com oder hallo@drjannascharfenberg.com

Frau Scharfenberg, Sie haben zehn Jahre in Ihre medizinische Ausbildung investiert, aber dann auf eine Karriere als Ärztin verzichtet…
JANNA SCHARFENBERG: …so sehe ich das nicht – man kann ja nicht nur im Angestelltenverhältnis Karriere machen, sondern erst recht, indem man etwas Eigenes aufbaut, das eine persönliche Handschrift trägt.

Aber es ist doch eher ungewöhnlich, dass sich eine Ärztin so kurz nach der Promotion in die Selbstständigkeit verabschiedet. Was hat Sie dazu veranlasst?

Da muss ich ein wenig ausholen. Ich habe mich schon in jungen Jahren für den menschlichen Körper, seine Organe, seine Funktionsweise interessiert. Und weil ich viel Sport trieb, war auch Ernährung ein wichtiges Thema. Nach dem Abitur lag es für mich auf der Hand, Medizin zu studieren, um später etwas dazu beitragen zu können, dass Menschen gesund bleiben. Dass ich drei Jahre auf meine Zulassung warten musste, schreckte mich nicht ab. Die ersten drei Jahre Studium waren sehr interessant und weit mehr praxisorientiert, als ich mir erträumt hatte. Doch während der ersten Praktika in Hausarztpraxen und Spitälern begann ich zu zweifeln: Alles war sehr stark auf Reparaturmedizin ausgerichtet, es ging darum, Therapien für Symptome zu finden. Ob die tieferliegende Ursache gefunden wurde und wie es um die Selbstverantwortung der Patienten stand, war kaum je ein Thema. Ich wunderte mich, dass wichtige Aspekte wie Ernährung, Prävention oder Salutogenese, also Gesunderhaltung, komplett ausgespart wurden.

Erwogen Sie deshalb den Studienabbruch?
Es kam etwas zweites Wichtiges dazu: Die Arbeitsbedingungen der Ärzte schockierten mich. Sie hatten schrecklich wenig Zeit für die Patienten, arbeiteten unter hohem Druck und hatten gigantische Präsenzzeiten. Ich realisierte: Wenn ich in diesem System Karriere machen wollte, war das sicher nicht gesund für mich und vermutlich auch nicht für die, um deren Gesundheit ich mich kümmern wollte. Als ich noch unschlüssig war, ob ich jetzt Jammern oder einfach das Studium abbrechen sollte, hatte ich eine dritte Idee: das Studium abschliessen und dann etwas Eigenes aufbauen, das meinen Vorstellungen besser entsprach. Was das sein könnte, wusste ich noch nicht, aber diese Perspektive motivierte mich dazu, als erste meines Jahrgangs zu promovieren und zusätzlich an einer anderen Uni noch traditionelle indische Medizin zu studieren. Ich hatte schon viele Jahre Erfahrung mit Yoga, auch als Lehrerin, und interessierte mich auch deshalb für diese Richtung. Nach Abschluss der Studien wollte ich dann doch die Arbeitswelt etwas kennenlernen und arbeitete in einem tollen Team im Kopfwehzentrum Hirslanden Zürich.

Aber eigentlich zog es Sie in die Selbstständigkeit.
Ja, ich hatte schon Vorträge gehalten und ein Beratungsangebot für Yoga-Lehrer aufgebaut und entschied mich nach kurzer Angestellten-Tätigkeit, ganz auf das Eigene zu setzen. Ich war in einer guten Ausgangslage und entsprechend zuversichtlich, aber ein wenig seltsam fühlte es sich schon an, die Tür zur traditionellen Arbeitswelt einfach so zuzuschlagen.

Warum haben Sie sich für die riskante Variante statt den gut dotierten Job entschieden?
Das entspricht meinem Naturell. Ich will beseelt sein von dem, was ich tue, und damit viel bewegen können – etwas zu tun, was einfach OK ist, reicht mir nicht. Wertvoll war auch, dass mein Umfeld mich in meinem Vorhaben bestärkt hat: Meine Eltern sind beide selbstständig, mein damaliger Partner und heutiger Mann ist es auch, und in meinem Netzwerk in Zürich verfolgen viele eigene Projekte statt einen Job zu verrichten, der sie nicht wirklich erfüllt. Ich hatte das Glück, ohne Durststrecke starten zu können. Schon früh konnte ich mich gar nicht vor Anfragen retten, sodass ich andauernd ein Dutzend Ideen mit mir herumtrug, für deren Umsetzung mir die Zeit fehlte. Dass es finanziell von Anfang an gut lief, gab mir Vertrauen und Ruhe. Mir war es wichtig, möglichst unabhängig zu starten. Anfang 2017 kam unsere Tochter zur Welt, und weil ich vieles online und ortsunabhängig anbiete, kann ich gut auf die Bedürfnisse der Familie achten und meine Zeit recht flexibel einteilen.

Wie sieht ihr Portfolio heute aus?
Gestartet habe ich mit individuellen Gesundheitsberatungen zu den Themen Ernährung, Bewegung, Yoga und Entspannung. Dabei geht es mir ganz simpel darum, Menschen beim Bestreben zu unterstützen, ihr Leben gesünder zu gestalten – Kranke genauso wie Gesunde. Zusätzlich biete ich Schulungen und Workshops für Unternehmen an. Ich halte regelmässig öffentliche Vorträge im Auftrag von zum Beispiel Migros/Alnatura, biete Weiterbildungen für Naturärzte und Yogaschulen an, blogge und betreibe einen Podcast mit 24’000 Hörerinnen und Hörern pro Monat. So teile ich mit viel Herzblut mein Wissen über ganzheitliche Medizin, Ernährung, Yoga und Gesundheit, immer in der Überzeugung, dass Gesundheit viel mehr ist als Abwesenheit von Krankheit.

24’000 Podcast-Hörer, namhafte Kunden nach kurzer Zeit, ein gut laufendes Online-Business… waren Sie immer schon eine gute Selbstvermarkterin?
Nein, überhaupt nicht, das war ein intensiver Prozess. Zu Beginn musste ich mich überwinden, irgendwo eine kleine Foto auf der Website aufzuschalten, es brauchte viele Schritte bis zum heutigen Auftritt. Allein hätte ich das nicht geschafft. Als ich mich einmal intensiver damit auseinandersetzte, was Life Coachs und Business Coachs eigentlich machen, und begann, selber mit Coachs zusammenzuarbeiten, häuften sich die Aha-Erlebnisse und Quantensprünge. Das ist einer der sehr schönen Nebeneffekte der Selbstständigkeit: Man entkommt sich selber nicht, die Arbeit hält dir immer wieder unerbittlich einen Spiegel hin und fordert dich auf, zu lernen und zu wachsen.

Verdienen Sie im zweiten Jahr Ihrer Selbstständigkeit schon ähnlich gut wie Sie als angestellte Ärztin verdienen würden?
Mein Lohn ist sogar schon weitaus besser als er in einer Angestellten-Position wäre, aber vor allem ist der Freiheitsgrad viel höher: Ich kann mich selber sein, muss keine Rolle spielen und keine Maske tragen, kann mein Kernanliegen so umsetzen, wie es mir sinnvoll erscheint. Das ist für mich viel wichtiger als möglichst rasch viel Geld zu verdienen. Nun habe ich zwei Mitarbeiterinnen angestellt, um in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern mehr bewegen zu können. Entsprechend werde ich in nächster Zeit viel über Führung und Strukturierung der Zusammenarbeit lernen. Und ich gönne mir den Luxus, auch Zeit in nicht rentable Dinge zu investieren, schreibe derzeit gerade an meinem ersten Buch. Es gibt noch viel zu tun, denn sehr viele Menschen haben wenig Ahnung, wie sie gesund bleiben können – und die Ärzte können sie dabei in den bestehenden Strukturen nur bedingt unterstützen.

Welche Erkenntnis über ein gesundes Leben ist viel zu wenig verbreitet Ihrer Ansicht nach?
Leider dominiert vielerorts die Haltung, dass die Ärzte uns heilen sollen, indem sie uns etwas geben, was die Schmerzen vertreibt. Andersherum nehmen Themen wie Ernährung & Prävention immer noch ein sehr geringen Anteil im Medizinstudium ein, so dass viele Ärzte hier zu wenig Kompetenzen aus der Grundausbildung haben. Meine Haltung ist: Gesundheit ist das höchste Gut, aber kein Konsumgut. Niemand kann dich per se gesund machen, die Verantwortung trägt zu einem grossen Teil jeder selber. Gesundheit darf durchaus Spass machen und auch einfach sein. Wir sollten aber akzeptieren, dass es eine Verbindung gibt zwischen Körper, Geist und Seele, und es deshalb oft nicht damit getan ist, etwas gegen die Symptome zu schlucken. Manchmal braucht es schon eine Veränderung der Lebensweise, um eine Besserung zu erwirken.


1. September 2018