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«Ich habe alles in der Schule des Lebens gelernt»

Ein schlechter Primarschulabschluss im Berner Jura gilt nicht gerade als Karrieresprungbrett. Jean-Luc Bögli hat es trotzdem weit gebracht. Er arbeitete sich mit Fleiss, Talent und Glück vom Kioskverkäufer zum Souvenirkönig der Schweiz hoch. Der 37-Jährige erzielt mit 70 Angestellten zwölf Millionen Franken Umsatz, beliefert 300 Läden, betreibt bald acht eigene Geschäfte und trägt als Chef täglich 20 Mützen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: ZVG/Dieter Seeger


Kontakt und weitere Informationen:
www.alpineclub.ch oder www.edelweiss-shops.ch


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Herr Bögli, Sie sind mit fünf Geschwistern in einem 300-Seelen-Dorf im Bernischen Jura aufgewachsen und haben mit Müh und Not die Primarschule absolviert. Wie wurden Sie zum Souvenirkönig der Schweiz?
JEAN-LUC BÖGLI: König bin ich keiner, aber es stimmt, ich bin heute klar die Nummer 1 in diesem Geschäft. Ich beliefere 300 Souvenirläden in der Schweiz und führe selber sieben Geschäfte an bester Lage. Ich weiss, dass mich nicht alle Kunden mögen, denn ich bin kein Diplomat. Aber sie bestellen trotzdem bei mir, weil sie wissen: Der Bögli kann immer liefern und seine Produkte verkaufen sich gut.

Warum sind Sie vor 18 Jahren in diese nicht sehr prestigeträchtige Branche eingestiegen?
Die Souvenirläden hatten damals wirklich einen schlechten Ruf. Sie waren teilweise schmuddelig, meist schlecht beleuchtet, und überall fand man die gleichen Artikel. So brachten Millionen von Reisenden ihren Familien Andenken mit, die es weltweit in jeder anderen Touristendestination auch zu kaufen gab. Ich absolvierte nach der Schule eine Lehre im Eisenwarenhandel und wollte mit 19 einfach nur weg. In meinem Dorf Grandval war ich immer das schwarze Schaf. Ich musste drei Mal – drei Mal! – zur Fahrprüfung antreten, obwohl ich wirklich gut Auto fuhr. Später wurde ich ja dann Rennfahrer.

Sie flüchteten mit 19 Jahren nach Zürich. Wie wurden Sie Unternehmer?
Zürich war für mich das El Dorado. So viele schöne Frauen, so viele Möglichkeiten, zu Geld zu kommen. Ich sprach kaum Deutsch, kein Wort Englisch und wusste knapp, was ein Computer war. So begann ich, am Flughafenkiosk zu arbeiten. Ich war sehr motiviert. Von meinem 20. Geburtstag an habe ich jedes Jahr die «Bilanz» mit der Liste der 300 Reichsten gelesen und aufbewahrt. Ich weiss, man sollte das Gegenteil behaupten, aber ich bin lieber ehrlich und sage: Es war nicht primär die Liebe zum Textil, die mich angetrieben hat, ich wollte einfach zu Geld kommen. So ging ich schon in jungen Jahren, als ich es mir nur knapp leisten konnte, ab und zu in die Kronenhalle mit einer netten Begleitung und liess mich dort inspirieren.

Schon als Kioskverkäufer gründeten Sie eine eigene Shirt-Firma und belieferten Ihren eigenen Chef, mit 25 Jahren machten Sie sich definitiv selbständig und mieten drei Ladenflächen am Flughafen. Woher hatten Sie die gut zwei Millionen Franken dafür?
Mein damaliger Chef gewährte mir ein grosszügiges Darlehen, den Rest finanzierte eine Bank. Ich machte damals mit der Shirt-Firma schon über eine Million Franken Umsatz, das genügte als Garantie. Heute staune ich auch, wie wenig ich mir dabei gedacht habe, aber wenn man jung und ambitioniert ist, geht man leicht solche Risiken ein. Zudem war ich mir nie zu schade, sechs oder sieben Tage pro Woche zwölf bis 14 Stunden zu arbeiten, auf Ferien zu verzichten und das verdiente Geld sofort zu reinvestieren. Wenn ich die jungen Akademiker heute reden höre, wundere ich mich nicht, dass so viele Startups scheitern.

Konkret?
Kürzlich habe ich an einer Hochzeit zwei Jungunternehmern zugehört, die sich über die  Lancierung eines neuen Modelabels unterhielten. Sie hatten sich gerade eine Villa in St. Tropez gemietet, um an den Details des Businessplans zu feilen. Das kannst du vielleicht nach 20 Jahren machen, aber doch nicht am Anfang. Viele junge Leute machen sich grosse Illusionen, was Unternehmertum bedeutet.

Inwiefern?
Sie ärgern sich über ihre Vorgesetzten, machen sich selbständig und denken: «Jetzt bin ich mein eigener Chef und mache nie mehr, was andere mir sagen.» Diese Einstellung ist der Anfang vom Ende. Man hat immer einen Chef, auch als Unternehmer. Wenn es nicht der Vorgesetzte ist, dann ist es der Kunde oder die Bank.

Sie lassen sich aber nicht gerne dreinreden. Sie sind Alleininhaber und kontrollieren bis ins letzte Detail alles in ihrer Firma. Gibt es wenigstens einen Verwaltungsrat?
Nein, ich will alleine entscheiden. Ich hafte für alles hier persönlich mit meinem Vermögen und trage für alle die Verantwortung. Ich bin kein Intellektueller und kein Manager, sondern einer, der alles in der Schule des Lebens und von den Kunden gelernt hat. Als Patron hast du immer mindestens 20 Mützen auf. Du bist der Innovationschef, der Marketingleiter, der Hauspsychologe, der Kundendienst und der Finanzchef. Ich vertraue in den meisten Fällen auf mein Bauchgefühl – bei der Einstellung neuer Mitarbeiter und beim Ausbau des Geschäfts.

Sie erzielen heute mit 70 Angestellten 12 Millionen Franken Umsatz – da können auch Sie nicht nur von Woche zu Woche improvisieren.
Ich brauche monatlich einen mittleren sechsstelligen Betrag für Löhne und Mieten, da muss man schon ein wenig planen. Zum Glück sind wir bis jetzt gut durch die letzten Jahre gekommen, obwohl der starke Franken uns zu schaffen machte. Wir haben Waren im Wert von über sechs Millionen an Lager, die Risiken sind mit eigenen Läden, Webshop und den vielen Geschäftskunden gut verteilt.

Welche Souvenirs verkörpern die Schweiz am besten? Oder anders gefragt: Was verkauft sich am besten?
Entscheidend ist, dass die Verkaufspunkte edel gestaltet sind und wir hochwertige, unverwechselbare Ware zu einem fairen Preis bieten. Natürlich verkaufen sich auch die klassischen Kuhglöcklein und Magnete weiterhin, aber damit lockt man heutzutage keine Kunden mehr in den Laden. Die hohe Kunst ist es, einen Produktmix zu finden, der die jungen Pärchen ebenso anspricht wie die Rentner-Reisegruppe, die reiche Russin genauso wie den Rucksacktouristen aus Neuseeland. Am besten gelingt mir das mit der eigenen Marke Alpine Club. Das sind zeitlose und alltagstaugliche Produkte mit viel Swissness. So bieten wir zum Beispiel einen wunderschönen Merinowollpullover an für 98 Franken...

... und Sie haben keine Ahnung, wie alt die Kinder waren, die ihn hergestellt haben.
In diesem Fall kenne ich den indischen Lieferanten relativ gut. Ich kann mich, wie alle Importeure, nur auf seine Aussagen verlassen. Dass Kinder zum Unterhalt der Familien beitragen, gehört nicht nur in Fernost, sondern auch bei Schweizer Bergbauern zur Kultur.

Sie verkaufen doch eine Illusion: Swissness made in Asia.
Damit bin ich in guter Gesellschaft. Kürzlich wurde der Fall eines Schweizer Modeunternehmens bekannt, das seine Swiss-Made-Pyjamas in China von Kindern nähen lässt. Und wo werden unsere Armeekleider produziert? Weder in Appenzell noch im Berner Oberland, sondern in Billiglohnländern in Osteuropa. Es ist heuchlerisch so zu tun als wüssten wir, wie die Lieferanten in Asien genau arbeiten. Ich weiss es nicht und alle anderen wissen es auch nicht. Erschwerend kommt dazu: Die Kunden interessieren sich kaum für Fairtrade und Nachhaltigkeit. Sie rennen zum günstigsten oder trendigsten Anbieter.

Sie eröffnen im April einen achten Standort in Genf. Wollen Sie auch ins Ausland expandieren?
Wir haben einige Kunden in Deutschland, Frankreich und Südamerika, wo wir gute Umsätze erzielen. Ein grosses Geschäft wird das aber nicht. Im letzten Jahr habe ich einen Edelweiss-Shop in Interlaken eröffnet – 380 Quadratmeter an bester Lage. Das hat mich eine Million gekostet, Genf kostet nochmals eine halbe Million. Dieses Geld ist in der Schweiz am besten investiert, so entstehen hier neue Arbeitsplätze. Zum Glück hat die internationale Konkurrenz grossen Respekt vor der Schweiz, weil hier alles so kleinmaschig ist.

Sie sind jetzt 37-jährig und haben sicher schon Übernahmeangebote erhalten. Verkaufen Sie das Geschäft oder wollen Sie noch 30 Jahre mit Souvenirs handeln?
Wenn plötzlich Konzernmanager mit tollen Angeboten kommen, bringt das jeden in Versuchung – auch mich. Aber was sollte ich danach tun? Fürs Ausruhen und Geld verprassen bin ich nicht geschaffen. Und ob etwas Neues gelingen würde, ist sehr unsicher. Viele Unternehmer überschätzen sich nach einem ersten Erfolg und denken, ihnen könne nichts misslingen. Ich bin mir bewusst: Erfolg besteht je zu einem Drittel aus Fleiss, Talent und Glück. Aufs Glück hat man wenig Einfluss, und mein Talent kann ich hier ideal ausleben. Ich bin leidenschaftlich gerne Chef, kümmere mich um jedes Detail. Gestern nach 21 Uhr habe ich mit einem Lieferanten in Pakistan stundenlang telefoniert wegen Lieferschwierigkeiten. Ich mag solche Herausforderungen.

Sind Sie in der nächsten «Bilanz» in der Liste der 300 Reichsten vertreten?
(Lacht laut) Nein, wo denken Sie hin. Das ist auch nicht so wichtig. Es war in den ersten Jahren mein Antrieb, aber ich kenne inzwischen genügend reiche Leute, um zu sehen, dass teure Autos und Villen auf Dauer keine Befriedigung bringen. Wichtiger wäre mir, dass mein Sohn vielleicht irgendwann mein Geschäft weiterführt. Aber es ist noch ein wenig zu früh, mit ihm darüber zu reden, er ist erst zwei Monate alt.


11. Januar 2014