Karl Schefer, Gründer und Chef des Bio-Wein-Unternehmens Delinat
Von drei brotlosen Jobs zum erfolgreichen Bio-Wein-Handel
Als Karl Schefer 1979 in Paris die ersten Bio-Weine kennenlernte, gefiel ihm mehr die Idee als der Geschmack. Ohne grosse Planung stieg der gelernte Chemielaborant in den Weinhandel ein und musste mit ansehen, wie rasch sich 200‘000 Franken in Luft auflösen können. Heute ist Schefer mit der Marke Delinat äusserst erfolgreich – nicht zuletzt, weil er die Kunden für egoistisch hält.
Interview: Mathias Morgenthaler Foto: ZVG
Kontakt und weitere Informationen:
karl.schefer@delinat.com oder www.delinat.com
Herr Schefer, wie kamen Sie vor 34 Jahren auf die Idee, in den Handel mit Bio-Weinen einzusteigen?
KARL SCHEFER: Ich hatte 1979 in einem Pariser Reformhaus erste Bio-Weine kennengelernt. Das Trinken war offen gestanden kein Genuss, aber die Idee dahinter gefiel mir. Ich besuchte in der Folge ein paar Weingüter, auf denen biologisch produziert wurde, aus rein privatem Interesse. Eines Tages sagte meine Frau: «Komm wir schalten doch ein kleines Inserat und schauen, ob sich ausser uns noch jemand dafür interessiert.» Wir schrieben «französische Weine ohne Chemie» aus – und erhielten innert Kürze rund 300 Anfragen. Das brachte uns unter Zugzwang.
So wurden Sie unverhofft zum Weinhändler?
Naiv wie wir waren, dachten wir, wir könnten einfach ein kleines Geschäft eröffnen. Zum Glück ahnten wir damals nicht, dass uns ein dreijähriger juristischer Kampf bevorstand – gegen eine Front aus Kantonschemiker, Lebensmittelinspektorat und etabliertem Weinhandel. Es war eine schwierige Zeit: Ich hatte drei Jobs am Hals, die viel Energie raubten und kaum Geld einbrachten. Nach zwei Jahren sagte ich meiner Frau und meinem Bruder, ich wolle nichts mehr mit dem Weinhandel zu tun haben. Wundersamerweise fanden sich aber Geldgeber, die tüchtig Mittel einschossen und in Infrastruktur und Personal investierten. Vier Monate später waren allerdings 200‘000 Franken verbrannt und wir mussten uns entscheiden, ob wir unsere Aktien verschenken oder Konkurs anmelden wollten.
Waren Sie immer schon der Unternehmertyp, der solche Herausforderungen liebt?
Überhaupt nicht. Ich hatte nach der Schule Chemielaborant gelernt und später fünf Jahre in Johannesburg gearbeitet. Nach der Zweitausbildung zum Homöopathen rückte für mich die Sinnfrage mehr ins Zentrum; ich zog in den Kanton Appenzell-Ausserrhoden und empfing als eine Art Heilpraktiker meine Patienten. Ich merkte rasch, dass ich zu ungeduldig war für diese Arbeit – oft war es mir auch peinlich, wie wenig ich wusste gemessen an den Hoffnungen der Patienten. Obwohl meine Praxis nicht gerade überrannt wurde, war ich am Abend immer sehr erschöpft.
Und welches war der dritte brotlose Job nebst Homöopathie und Weinhandel?
Ich entwickelte mit Kollegen ein Computer-Programm, welches das Repertorisieren für Homöopathen vereinfachte. Das pausenlose manuelle Nachschlagen war sehr anstrengend. Diese Software hielt mich Anfang der Achtzigerjahre über Wasser. 1983, als die Weinhandlung vor dem Konkurs stand, entschied ich mich, mit all meiner Kraft einen zweiten Versuch zu wagen. In diesem schwierigen Moment bin ich zum Unternehmer geworden. Ermutigt hat mich der enge Kontakt zu den Winzern. Diese Kämpfer hatten noch mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig zu werden als wir Händler. Weil ich Schulden hasste und die Winzer mochte, kniete ich mich voll hinein. Ab 1984 verdoppelten wir von Jahr zu Jahr den Umsatz.
Wie gelang es Ihnen, in der kleinen Nische Geld zu verdienen?
Entscheidend war die Einführung des Degustier-Services 1987. Unsere Kunden erhalten auf diesem Weg mehrmals pro Jahr drei Weine zum Testen zugestellt. Die Idee war, dass sie degustieren und dann bestellen, was gefällt. Heute nutzen viele Kunden den Degustier-Service als eine Art Grundversorgung. Diese Vertriebsform steuert heute gut 50 Prozent zu unserem Umsatz bei, in Deutschland sind wir damit noch erfolgreicher als in der Schweiz.
Sie verkaufen 3,5 Millionen Flaschen im Jahr und arbeiten mit gegen 100 Winzern zusammen. Wie passen ök0logisch nachhaltiger Weinbau und Massengeschäft zusammen?
Wir brauchen eine gewisse Grösse, um zeigen zu können, dass Weinproduktion ohne Chemie funktioniert – auch ökonomisch. Am Anfang wurden wir speziell aus der Bio-Ecke angegriffen, weil viele fanden, bio sei gleichbedeutend mit klein, links und arm. Wir sind aber keine Idealisten und keine Moralisten, sondern lebensfrohe Natur- und Weinfreunde, welche die Marktgesetze nutzen und Geld verdienen wollen. Seit 1987 hat Delinat jedes Jahr Gewinn geschrieben und ein Prozent des Jahresumsatzes in die Forschung und Weiterbildung investiert. Dank der Profitabilität konnten wir zum Beispiel das Weingut Château Duvivier in der Provence kaufen, wo wir wissenschaftliche Experimente durchführen, um nachweisen zu können, dass Biodiversität und Dauerbegrünung zu einer besseren Traubenqualität führen.
Ich dachte immer: Wer Bio-Wein kauft und dafür tiefer in die Tasche greift, investiert mehr ins gute Gewissen als in den Genuss.
Delinat hat sich von Anfang an anders positioniert. Ich habe all meinen Mitarbeitern eingetrichtert, dass wir uns nicht als Weltverbesserer darstellen. Die entscheidenden Argumente gegenüber den Kunden sind Qualität, Preis und Service. Die Menschen handeln egoistisch, nicht altruistisch – auch wenn das keiner zugibt. Sie wollen für wenig Geld einen guten Wein kaufen. Also müssen wir dafür sorgen, dass unsere Weine bei Blinddegustationen in jeder Preisklasse vorne dabei sind. Natürlich haben wir hohe Ansprüche an unsere Winzer und an uns selber in Bezug auf die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit der Arbeit. Aber wir hängen das nicht an die grosse Glocke. Im Zentrum steht die Qualität der Weine – weder der Kunde noch die Natur sollen dafür einen zu hohen Preis zahlen.
Welchen Preis zahlen Sie als Firmenchef? Es heisst, Sie arbeiteten 14 Stunden pro Tag.
Arbeit ist nicht das richtige Wort. Natürlich ist es auch keine Freizeitbeschäftigung, vielleicht müsste man einen anderen Begriff erfinden. Mein Beruf ist für mich Sport, Spass, gelegentlich Stress – aber vor allem eine wunderbare Möglichkeit, etwas zu bewegen und etwas zu erreichen, das vielen Menschen zu Gute kommt. Wir haben ja nicht nur 40 Angestellte, sondern eine grosse Winzergemeinschaft. Ich persönlich habe keine Ambitionen, mehr Geld zu verdienen, aber den Winzern bin ich es schuldig, das Geschäft weiterzuentwickeln, im Detailhandel präsenter zu werden, neue Märkte zu erschliessen.
Letztes Jahr ist Delinat am deutschen CSR-Forum mit einem Preis für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung ausgezeichnet worden. Wie wertvoll sind solche Ehrungen?
Das bringt uns nicht direkt neue Kunden. Aber es ist eine schöne Anerkennung, die belegt, dass wir als kleine Firma sehr viel machen in dieser Hinsicht – sonst werden üblicherweise Banken oder Autobauer ausgezeichnet, die sich ganze CSR-Abteilungen leisten können. Delinat-Winzer richten sich nach 116 Richtlinien, die weitaus strenger sind als alle gängigen Bio-Labels. Ein Kernelement ist die Biodiversität. Kurzfristig bringt es Nachteile, Bäume, Hecken und Sanddorn in die Rebberge zu pflanzen, auf Dauer zahlt es sich aber in jeder Hinsicht aus. Wir sehen den Weinberg als Ökosystem, das durch biologische Vielfalt in Balance gehalten wird. Entscheidend bleibt aber, dass dadurch auch der Wein besser wird. Wir hoffen, bald nachweisen zu können, dass sich die Biodiversität positiv auf den Säure- und Nährstoffgehalt in den Trauben auswirkt.
12. Juli 2014