Marcel Bernet, Bildhauer und Coach
Wenn ein PR-Profi seinen guten Ruf aufs Spiel setzt
Kann man sich mit 55 Jahren noch einmal neu erfinden? Marcel Bernet hat es gewagt. Er gab vor zwei Jahren ohne Not seine PR-Agentur ab und verschrieb sich der Bildhauerei – 40 Jahre nachdem er davon geträumt hatte, Künstler zu werden. «Die wichtigen Dinge kann man nicht planen», sagt der 57-Jährige, «da bleibt nichts anderes als ausprobieren, stolpern, sich aufrappeln und weitersuchen.»
Interview: Mathias Morgenthaler Foto: zvg
Kontakt und weitere Informationen:
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Marcel Bernet bei der Arbeit mit Holz
Herr Bernet, Sie führten eine erfolgreiche PR-Agentur mit sieben Angestellten und hatten in der Branche einen guten Namen. Warum haben Sie Ihr Unternehmen vor gut zwei Jahren verkauft?
MARCEL BERNET: Entscheidend war die Lust, mit 55 Jahren noch einmal etwas Neues zu wagen. Jeder Mensch hat ja zahlreiche Talente und Interessen – die Entscheidung für einen Beruf ist also immer auch eine Entscheidung gegen viele andere Dinge. Ich träumte als junger Mensch davon, Künstler zu werden, absolvierte dann aber eine Banklehre statt der Kunstgewerbeschule. Vor sieben Jahren kam ich mit der Holzbildhauerei in Berührung und merkte sofort: das ist es! Fünf Jahre lang versuchte ich, Bildhauerei und Agenturleitung zu kombinieren, eine Woche pro Monat im Atelier zu arbeiten, den Rest in der Firma. Aber auf Dauer war das kein guter Kompromiss. Im Bürojob bedeutete es zusätzlichen Stress, in der Kunst kam ich nicht richtig vom Fleck.
Und eines Tages waren Sie unvernünftig genug, die Agentur nach 22 Jahrenzu verkaufen?
Ökonomisch betrachtet mag das unvernünftig gewesen sein, aber das war nie mein wichtigstes Kriterium. Ich hatte sehr viel Glück als Unternehmer, rutschte aus Leidenschaft früh in die Thematik Internet und Social Media hinein, was mir einen Expertenstatus und renommierte Kunden wie die Post, Swisscom oder Google einbrachte. Ich bin sehr dankbar für diese Erfolge, es war eine gute Zeit, aber in fast23 Jahren an der Spitze eines Unternehmens siehst du auch viele Mitarbeiter kommen und wieder gehen. Mir wurde klar: Ich möchte auch noch einmal neu anfangen, Laie und Liebhaber sein statt Experte. Als die Kunst mich rief, gab es irgendwann kein Halten mehr.
Hatten Sie keine Angst vor dem Scheitern?
Die Angst war eine treue Begleiterin, aber sie rückte zunehmend in den Hintergrund. Ab einem bestimmten Moment war die Vorfreude auf das Unbekannte grösser als die Sorge, wer ich ohne meine Firma sein werde. Trotzdem gab es diese innere Stimme, die manchmal fragte: «Spinnst du, all das ohne Not aufzugeben?» Als PR-Spezialist hatte ich ein Ansehen, auf den Künstler Bernet hat niemand gewartet. Aber wer will schon ein Leben lang auf der Skipiste fahren, wenn man im Tiefschnee eigene Schwünge in einen unberührten Hang ziehen kann? Das reizte mich so sehr, dass ich auch aufgehört hätte, wenn der Verkauf nicht geglückt wäre. Erleichternd kam dazu, dass meine drei Kinder alle finanziell unabhängig waren, ich also nur für mich verantwortlich war.
Wie erlebten Sie die ersten Wochen im Atelier?
Unmittelbar nach dem Verkauf der Agentur ans Management spürte ich eine grosse Euphorie. Eine Last war von mir abgefallen, vor mir lag ein offenes Feld, eine Fläche, die ich frei gestalten konnte. Die Ernüchterung kam, als ich merkte, dass man in der Kunst das Tempo nicht vorgeben, die Dinge nicht planen kann. Manchmal sass ich da, kam überhaupt nicht voran mit meiner Skulptur und fragte mich: «Musste das sein? Gibts nicht schon genügend Leute, die das mit mehr Ernsthaftigkeit machen als du?» Es zieht sich durch meine Laufbahn, dass ich immer wieder etwas Neues angefangen habe. Man kann das als Geschenk sehen, so vielfältig unterwegs zu sein, man kann aber auch damit hadern, dass man nie ganz in die Tiefe vordringt. Es gibt diese Anekdote, dass ein begeisterter Zuhörer nach einem Konzert zum Pianisten geht und sagt: «Ich würde mein Leben dafür geben, so gut spielen zu können wie Sie.» Und der Pianist antwortet: «Genau das habe ich getan.»
Was wollen Sie damit sagen?
Dass ich nie ein so guter Bildhauer werden kann wie Stephan Balkenhol oder Richard Deacon, die sich ganz und gar der Kunst verschrieben haben. Aber es bringt nichts, sich zu vergleichen und klein zu machen. Für mich ist es im Moment die richtige Tätigkeit – in Kombination mit dem zweiten Standbein, dem Coaching. Wenn ich mit dem Skizzenblock oder der Motorsäge vor einem mächtigen Stück Holz stehe, bin ich weit weg von der Aussenwelt. Ich konzentriere mich darauf, ganz in der Materie und der Kreation zu versinken. Und dann mache ich mich an die Arbeit, eine sehr physische, sinnliche Arbeit. Für mich hat sich durch die Neuausrichtung ein Kreis geschlossen. Ich bin einen weiten Weg gegangen, um meinen Traum zu realisieren und Künstler zu werden. Manchmal empfinde ich etwas Wehmut, dass ich nicht früher in diese Welt eingetaucht bin, aber es gibt im Leben keine Abkürzungen, und oft genug staune ich, dass ich überhaupt noch ins Atelier und zur Kunst gefunden habe.
Heisst Ihre aktuelle Ausstellung im Park des Alterszentrums Klus Park in Zürich deshalb «Mich wundert»?
Es gibt dieses Gedicht, das Angelus Silesius zugeschrieben wird: «Ich bin und weiss nicht wer. Ich komm’ und weiss nicht woher. Ich geh, ich weiss nicht wohin – mich wundert, dass ich so fröhlich bin.» Ja, ich habe mich gewundert, dass ich diesen herrlichen Park mit meinen Skulpturen bespielen kann. Und so wundern sich auch die Figuren, die dort zu Besuch sind. Friedrich Nietzsche schrieb: «Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann ausser dir; wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn!» Ich halte nicht viel von Karriereplanung. Die wichtigsten Dinge kann man nicht planen oder in Modellen berechnen. Da bleibt nichts anderes als ausprobieren, stolpern, sich aufrappeln und weitersuchen. Und immer wieder sich wundern und dankbar sein.
Als Unternehmer hatten Sie Umsatzziele und einen Wettbewerb um die interessanten Mandate. Welche Ziele verfolgen Sie als Bildhauer?
Die erste Motivation ist, ins Atelier zu gehen und zu schauen, was passiert. Das ist wie eine Meditationspraxis. Man kann nichts forcieren. Manchmal empfängt man Inspiration und kann etwas schöpfen aus der Materie, manchmal passiert nichts. Vollständig wird das Kunstwerk durch den Betrachter, der berührt wird durch meine Auseinandersetzung mit einem Thema, der eine Ausstellung besucht oder ein Werk kauft. Diese Resonanz ist mir wichtig. Man steht zwar als Künstler zu Beginn einer Ausstellung ganz nackt auf einer Bühne, aber wenn der Funke dann überspringt auf den Betrachter, ist das sehr beglückend.
Gibt es auch solche, die den spät berufenen Künstler belächeln?
Wer weiss – bestimmt gibt es die ganze Palette von Urteilen, von Spott, Neid, Skepsis und Argwohn bis zu Neugier, Lob und Bewunderung. Schade finde ich, wenn einem die Ernsthaftigkeit abgesprochen wird, bloss weil man nicht am Hungertuch nagt. Ja, ich lebe auf dem Villenhügel der Welt, in der Schweiz. Es ist ein enormes Privileg, ohne existenziellen Druck entscheiden zu dürfen, was ich machen will. Deshalb habe ich mich immer ehrenamtlich engagiert und stets ein Prozent des Umsatzes in soziale Projekte investiert. Aber ich bin kein gelangweilter Snob, der sich aufs Alter noch eine coole Freizeitbeschäftigung zugelegt hat. Ich ringe als Künstler wie viele andere ums Gelingen und freue mich, wenn ich auf diesem Weg zu einem gültigen Ausdruck komme.
Neben der Kunst sind Sie auch noch als Coach und Berater für Führungskräfte tätig. Wie passt das zusammen?
Anfänglich war das vermutlich ein Zugeständnis an mein Sicherheitsbedürfnis. Ich wusste, dass ich als Coach und Berater meine Stunden würde verrechnen können; das beruhigte mich beim Umstieg. Später gab es immer wieder Phasen, in denen ich mich fragte, ob dieser Spagat mich nicht einfach unnötig einschränke. Ich tat mich schwer zu sagen: Ich bin Künstler und Coach. Heute bin ich sehr glücklich über diese Konstellation. Als Coach kann ich auf meine Erfahrung als Unternehmer, Ökonom, Kommunikationsberater, Autor, Referent, Schamane und Künstler zurückgreifen. Meine Neugierde verbindet all diese Bereiche. Es ist schön, dass das nun in einer Tätigkeit zusammenfliessen kann. Und ich begleite als Coach meine Kunden bei einem Schöpfungsprozess – da gibt es viele Parallelen zur Kunst. Es geht darum, die Sicht auf die Welt und die eigene Person zu erweitern, über die Kontemplation in die Aktion zu kommen. Wie in der Kunst sind im Coaching Vertrauen und Demut gefragt. Vertrauen darauf, dass Essenzielles geschieht, ohne dass wir machen. Und Demut, weil die Kontrolle weg ist.
31. Oktober 2015