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«Das Unbekannte hat ich immer magisch angezogen»

Professor, Manager oder Unternehmer? Markku Wilenius mochte sich nicht entscheiden und brillierte auf allen drei Gebieten – ein Beruf, den man nicht an der Uni, sondern nur in der Schule des Lebens erlernen kann. «So etwas wie Karriere hat mich nie interessiert», sagt der 52-jährige Finne, der es mit dieser Einstellung bis in die Chefetage des Allianz-Versicherungskonzerns schaffte.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
markku.wilenius@utu.fi oder www.markkuwilenius.fi


Herr Wilenius, Sie sind Musiker, Unternehmensberater, Uni-Professor, Zukunftsforscher, waren Top-Manager bei  der Allianz, führen drei eigene Unternehmen... waren Sie schon als Kind ein Hansdampf in allen Gassen?
MARKKU WILENIUS: In gewisser Weise schon, ja, denn meine Eltern haben 1955 die Rudolf-Steiner-Schule nach Finnland gebracht. Ich war also einer der ersten in Helsinki, der seinen Namen tanzte (lacht). Ansonsten hatte ich damals keine klare Vorstellung von meiner Zukunft. Ich interessierte mich früh für alle möglichen Themen und merkte bald, dass ich lieber grössere als kleine Brötchen backe. Mit 16 Jahren war mein wichtigstes Anliegen, besser zu verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert. Ich wollte ein Forschungsreisender im umfassenden Wortsinn werden – dieser Grundausrichtung bin ich bis heute treu geblieben.

Diese Haltung können sich nur Kinder aus gutem Hause leisten. Waren Sie von Anfang an privilegiert?
Mein Vater war ein finnischer Philosoph, meine Mutter stammte aus einer alten finnisch-schwedischen Unternehmerfamilie – ich wuchs also in einem intellektuellen Milieu auf und war etwas introvertiert, was ich als Nachteil empfang. Mir war auch früh klar, dass ich nicht ein Intellektueller ohne Bodenhaftung werden wollte. So ging ich nach der Schulzeit auf Reisen. Ok, es war die Hippie-Zeit und dieser Lebensstil ist nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen. Ich bin aber nicht nur rumgehangen, sondern habe auf Reisen gejobbt -als Gärtner gearbeitet, psychisch behinderte Menschen betreut. Das war für alles Weitere eine prägende Erfahrung und wertvoller, als wenn ich direkt an die High School und an die Uni gegangen wäre.

Sie forschten danach an der Universität Turku als Professor, sind Mitglied des Club of Rome, waren in führender Position beim Allianz-Konzern und sind Jungunternehmer... was würden Sie als Ihren Beruf bezeichnen?
Ich habe immer die grösste Mühe zu erklären, was ich tue. Es ist ein Puzzle von Tätigkeiten, insgesamt ein seltsamer Beruf, den man nicht an der Uni, sondern nur in der Schule des Lebens lernen kann. Für meinen Werdegang war die Erfahrung in der Kindheit wichtig, dass Anderssein ein Wert und kein Defekt ist. Ich musste keinen Erwartungen entsprechen, durfte meinen Interessen und Neigungen folgen.

Hatten Sie einen Plan für Ihre Karriere?
Nein, nie. Es ist nicht so wichtig, was wir im Detail über unsere Zukunft denken. Wichtig ist, dass wir uns treu bleiben und welches unsere Haltung ist. Dann ergibt sich der Weg praktisch von selber. Die Ziele sind nicht gerade austauschbar, aber beweglich. Ein Beispiel: Als ich 25-jährig war, dachte ich, ich könnte nie Professor an einer Business School werden, denn ich hasste die Ökonomie. Dann wurde ich einer der jüngsten Professoren und dachte: «Mein Gott, hier bin ich nun also.» Meine Haltung, dass man sich nicht beschränken muss, sondern viele Lerngelegenheiten wahrnehmen kann, wenn man seiner Intuition folgt und flexibel ist, gab ich dann auch an die Studenten weiter. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir nie vorstellen können, einmal massgeblichen Einfluss auf einen deutschen Versicherungskonzern zu haben – mein Herz schlug damals eher für die innovativen Jungunternehmer im Silicon Valley.

Ohne Karriereplanung wird man doch nicht Top-Manager bei der Allianz.
Als mein Wechsel von der Universität zur Allianz bevorstand, meinten einige Leute in meinem Umfeld: «Bist du verrückt? Danach wirst du nie wieder im akademischen Umfeld Fuss fassen.» Das Verrückte aber ist: So etwas wie Karriere hat mich nie interessiert. Für mich war immer entscheidend, wo ich etwas lernen und bewegen konnte. So geriet ich nie in die Sinnkrise zwischen vierzig und fünfzig, in der sich die Leute fragen: «War das wirklich alles? Was gäbe es sonst noch ausser der Karriere, der ich jetzt 20 Jahre vieles geopfert habe?» Die meisten Menschen bereuen ja am Ende des Lebens, was sie mangels Mut nicht getan haben. Zuvor entscheiden sie sich im Zweifelsfall aber meistens für den Verbleib im Gewohnten. Auf mich hatte schon immer das Unbekannte eine magische Anziehungskraft. Die Beharrlichkeit ist übrigens auch für Unternehmen eine grosse Gefahr.

Inwiefern?
Weil grosse Organisationen sich zu stark darüber definieren, was sie in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat. Nokia verschlief so die Smartphone-Entwicklung. Wenn grosse Firmen satt und träge werden, gehen die innovativen Köpfe sehr schnell von Bord – und verwirklichen ihre Ideen vorzugsweise in kleinen Unternehmen, die unbürokratisch und flexibel sind. So sind im Umfeld von Nokia in den letzten Jahren rund 500 neue Unternehmen entstanden.

Wie können Weltkonzerne trotzdem überleben?
Sie müssen es schaffen, drei zentrale Faktoren in den Griff zu bekommen. Punkt 1 ist die Werteorientierung. Status, Lohn, Struktur – das funktionierte gestern und funktioniert heute nur noch teilweise. Für die Mitarbeiter von morgen stehen Selbstverwirklichung und Sinnstiftung im Vordergrund. Die Mitarbeiter wollen verstehen, wie sie die Zukunft des Unternehmens mitgestalten können und welchen Sinn das ergibt. Punkt 2 nenne ich die Resilienz. Die Unternehmen müssen beweglicher werden, weniger hierarchisch, stärker auf Kunden und Projekte ausgerichtet. Und drittens ist Networking entscheidend. Marktanteile und Kaufkraft sind heute keine Lebensversicherung mehr. Entscheidend ist, wie gut es gelingt, Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden als echte Partner einzubinden und von ihnen zu lernen.

Verraten Sie mir trotzdem noch, wie Sie es als Quereinsteiger geschafft haben, bei der Allianz eine Management-Position mit direktem Zugang zu Konzernchef Michael Diekmann zu bekommen?
In Deutschland hilft es, wenn man nicht nur einen Doktor-, sondern auch einen Professoren-Titel hat – das verleiht einem gewissermassen die Aura des weisen Mannes. Zudem war es vermutlich ein Vorteil, dass ich keiner der Manager war, die aufsteigen und sich dann möglichst lange oben halten wollen. Mein Ziel war, in zwei Jahren etwas zu bewegen. Das gab mir die Freiheit eines Hofnarren, die Tabuthemen, also die wirklich wichtigen Dinge anzusprechen. Ich konnte dem Sachbearbeiter und dem Konzernchef genau gleich begegnen – das ist ein Privileg der unabhängigen Quereinsteiger. So gelang es uns, die Organisation radikal zu verändern, etwa bei der Art der Kundengewinnung und Kundenbetreuung sowie in Sachen Leadership. Es gibt viel zu viele Unternehmen, die mit alten Produkten, Strukturen und Strategien gegen die Wand rennen.


22. Februar 2014