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Wie ein farbenblinder Buchhalter zum Star-Gastronom wurde

Er kann nicht kochen und hat keine Ahnung von Wein, verköstigt aber halb Zürich in seinen Cafés, Restaurants und Hotels. Nun hat Michel Péclard (44) wieder zugeschlagen: heute eröffnet er ein neues Café am Bellevue. Sein Erfolgsrezept ist einfach: Er macht nicht, was den Köchen oder Architekten gefällt, sondern was die Kunden mögen. Die Prominenz verführt er mit langen Tischen, Fischknusperli und Pouletflügeli.


Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Michel Péclard: Buchhalter statt Banker

Der Zürcher Michel Péclard (44) wollte Banker werden, machte dann aber unter sanftem Druck seiner Mutter eine Ausbildung zum Buchhalter. Später absolvierte er die Hotelfachschule in Luzern, wo er noch heute als Referent auftritt. In Zürich betreibt er sieben Betriebe, darunter Coco Grill & Bar, Fischer’s Fritz, Café Felix, Schober und die Restaurants Kiosk und Pumpstation.


Herr Péclard, es heisst, Sie seien eine lebende Rechnungsmaschine. Sie können uns sicher sagen, welchen Umsatz Sie in Ihren sieben Zürcher Lokalitäten erzielen an einem schönen Sommertag wie heute.

MICHEL PECLARD: An guten Tagen sind es gegen 80’000 Franken. Wenn es regnet, vielleicht 25’000 Franken. Ich kenne wirklich alle Zahlen unserer sieben Betriebe, denn ich mache gemeinsam mit dem Geschäftsführer die Buchhaltung und weiss von jedem Pouletflügeli und jedem Mütschli, was es kostet. So merke ich sofort, wenn Rechnungen von Lieferanten fehlerhaft sind oder in einem Betrieb Probleme auftauchen.

Buchhalter, die Innovationen schaffen, sind ziemlich rar. Sie sind Dozent für Rechnungswesen an der Hotelfachschule und verstossen in Ihren eigenen Betrieben gegen sämtliche Branchengesetze – mit durchschlagendem Erfolg.

An sich habe ich furchtbar schlechte Karten für die Gastronomie. Ich bin ein farbenblinder Buchhalter, der nicht Kochen kann und keine Ahnung hat vom Wein. Also konzentriere ich mich auf die Zahlen und die Kunden. Das lohnt sich, denn dort passieren die meisten Fehler. Oft ist es ja so, dass Gastro-Unternehmer mit Innenarchitekten und Köchen etwas machen, das ihrem Ego schmeichelt, aber keine Rendite bringt und keinen Kunden emotional berührt. Bei mir war das immer schon anders. Ich bin drei Monate pro Jahr unterwegs, in Nizza, St. Tropez, Miami, Paris, London, Tokio oder Neapel, um ganz genau zu beobachten, was es Neues gibt, was funktioniert, wonach die Menschen verrückt sind.

Zum Beispiel?

Ich war in Wien, um zu sehen, was man Veganern anbieten kann. Alle Wirte dort sagten mir, es gebe derzeit nur eines: panierte Champignons. Ich kam damit zurück nach Zürich, und meine Köche weigerten sich, das zu kochen. Zum Glück setzte ich mich durch, denn heute bestellen hier alle panierte Champignons. Ich streite oft mit meinen Köchen, wenn sie zu stolz sind, populäre Sachen zu machen. Hier im Fischer’s Fritz in Wollishofen wollten sie erst keine Fischknusperli anbieten. Wir haben Unmengen davon verkauft diesen Sommer, 1,5 Tonnen Felchen allein im Monat Juli. Die gleiche Diskussion mit den Pouletflügeli. Ein Koch wollte ernsthaft kündigen, wenn die auf die Karte kämen. Inzwischen verkaufen wir jeden Tag 60 Kilo davon. Und wer isst sie? Nicht die Jugendlichen, sondern Philipp Gaydoul, Beat Curti oder der Rapper Bligg. Die sagen dir ganz direkt: «Die ausgefallenen Sachen essen wir sonst schon immer.»

Die Prominenz sucht das Einfache?

Diese Leute sind ja im Grunde einsam und sehnen sich nach ein wenig Normalität. Aber nicht nur sie. All die Menschen, die dauernd auf ihre Smartphones starren und sich Mühe geben, wichtig zu wirken, tun sich zunehmend schwer mit der Kommunikation im Alltag. Da muss ich als Gastgeber ein wenig nachhelfen. Deshalb setze ich auf grosse Tische und lange Bänke, da können die Gäste gar nicht anders als miteinander reden. Wenns dann noch keine Karte gibt und man in den Keller steigen muss, um einen Wein zu wählen, wie bei mir im Restaurant Coco am Paradeplatz, dann entspannen sich die Gäste mehr und mehr. Ich möchte da noch einen Schritt weitergehen und vermehrt Töpfe auf die Tische stellen.

Sie gelten als Enfant Terrible der Zürcher Gastroszene und haben es immer wieder geschafft, heruntergekommenen Lokalitäten neues Leben einzuhauchen. Wann folgt der nächste Coup?

Schon passiert, nur weiss das noch niemand. Ich hatte gehört, dass der Gastrounternehmer Christian Kramer einen Mieter sucht für das Café Skebe an bester Lage am Bellevue. Am 20. Juli, als ich ihn anrief, sagte er, er fliege nach Ibiza und sei praktisch schon auf dem Weg zum Flughafen. Ich fuhr hin, sein Taxi wartete schon, und unterzeichnete den Vertrag, ohne ihn ganz gelesen zu haben. Für einen Buchhalter bin ich extrem schnell, vor allem, wenn es gilt, 100 Konkurrenten auszustechen. Mein Problem war, dass ich ebenfalls vor der Abreise in die Ferien war. Ich rief meinen Bühnenbildner an, mit dem ich schon lange zusammenarbeite, und sagte ihm, er müsse in drei Wochen etwas Schönes daraus machen.

Sind Sie zufrieden?

Es fehlen noch Möbel und Mitarbeiter, aber wir sind auf guten Wegen. Am Abend der Streetparade steigt eine erste grosse Party, offiziell eröffnen wir am 16. August. Im Moment ist wirklich viel los. Ich arbeite intensiv an einem zweiten Projekt, einer Bar auf dem Dach eines sehr prominenten Hauses an bester Lage. Und dann ist da noch immer der Traum vom eigenen Hotel, der sich vielleicht bald realisieren lässt. Manchmal staune ich schon, wie viele versteckte Perlen es gibt. Seit ich öfter als Querdenker für Referate vor Wirtschaftsleuten gebucht werde, ergeben sich die wichtigen Kontakte fast von selber. Oft fehlt es jenen, welche die Immobilien und das Geld haben, am Mut und an der Phantasie, etwas Besonderes daraus zu machen.

Das Restaurant am Campingplatz in Wollishofen galt nicht gerade als Prestigeobjekt, als Sie es vor drei Jahren übernahmen.

Ich habe dem Betreiber einen Abend und eine halbe Nacht lang gesagt, was er alles falsch macht, bis er mir morgens um 2 Uhr sagte: «Dann mach es doch besser!» Wir einigten uns per Handschlag. Mein Team verwarf die Hände, niemand glaubte an den Erfolg. Heute ist es ein «Place to be», Prominente aus Wirtschaft, Sport und Entertainment kommen hierher, Porsche und High Heels treffen auf die Sandalenträger vom Campingplatz. Ich bin stolz, diesen Ort wiederbelebt zu haben, inklusive Spezialitäten-Laden und Wakeboard-Schule. Seit drei Jahren gibt es sogar Sushi. Ich wollte das zuerst nicht anbieten, weil die Weltmeere schon genug überfischt sind. Dann schickte ich meinen besten Koch für zwei Monate nach Japan, damit er das Handwerk lernt. Seither kreiert er hier Zürichsee-Sushi mit Egli-, Bachforellen- und Felchenfilet, die ihm unser hauseigener Fischer frühmorgens bringt.

Misslingt Ihnen auch mal etwas?

Ich habe zum Glück einen sehr kritischen Anwalt an meiner Seite, der regelmässig in Frage stellt, was ich mache. Wenn die Geschäfte gut laufen und dir täglich Objekte angeboten werden, ist die Gefahr gross, irgendwann zum Opfer des eigenen Erfolgs zu werden. Zum Glück habe ich früh eine schmerzhafte Lektion erhalten. Ich war noch keine dreissig und die drei ersten Restaurants liefen sehr gut. Da übernahmen mein Partner und ich im Übermut noch ein Zunfthaus – zu katastrophalen Bedingungen. Die Kosten explodierten, es drohte der Konkurs.

Und da riefen Sie Ihren Vater, den Vermögensverwalter, an?

Ich habe mir immer alles selber erarbeitet, aber ja, da rief ich ihn an und sagte in meiner Verzweiflung, ich bräuchte 100’000 Franken von ihm. Er lachte und sagte: «Ein Glück, dass dir das mit 100’000 Franken passiert und nicht mit 10 Millionen.» Ich fand das gar nicht witzig, aber heute verstehe ich, was er meinte. Es ist wichtig, im richtigen Moment lehrreiche Fehler zu machen.

Heute würde ein solcher Betrag Sie nicht mehr aus der Ruhe bringen.

O doch. Weil meine Betriebe gut laufen, denken alle: «Der Péclard schwimmt im Geld.» Diese Woche sagte mir ein Hotelier, er würde mir sein Hotel für 21 statt 23 Millionen Franken verkaufen. Woher bitte sollte ich das nehmen? Ich wette mit Ihnen, dass ich weniger Geld auf dem Konto habe als Sie. Sobald ich etwas verdiene, investiere ich es sofort wieder. Gewänne ich heute eine Million, würde ich morgen eine neue Beiz eröffnen. Ich bin dann glücklich, wenn ich eine Idee realisieren und mit einem guten Team die Gäste glücklich machen kann; nicht wenn mein Kontostand wächst. Ich sitze ja oft genug mit Bankern beim Mittagessen, die 300’000 oder 400’000 im Jahr verdienen. Die wenigsten machen einen glücklichen Eindruck auf mich.

Auch Sie zahlen einen hohen Preis. Ihr Job fordert Sie täglich vom frühen Morgen bis gegen Mitternacht. Nun wollen Sie sogar hier auf dem Campingplatz Wollishofen wohnen, direkt neben dem Büro.

Es stimmt, mein Geschäft ist mein Leben, aber ich habe eine sehr hohe Lebensqualität. Ich treffe mich am frühen Morgen mit meinen Mitarbeitern zum Sport auf dem See, begegne jeden Tag interessanten Leuten, kann sie mit Kleinigkeiten überraschen. Aber natürlich laugt der Alltag auch aus. Mit 140 Angestellten und täglich Tausenden von Gästen hat man eigentlich nie seine Ruhe. Jeder Stammgast will mit dir anstossen, es gibt immer etwas zu besprechen. Ohne zwei Mal zehn Tage Ayurveda-Kur pro Jahr würde ich das nicht durchstehen. Eigentlich bin ich nämlich ein Einzelgänger.

Keine ideale Voraussetzung, um 140 Mitarbeiter zu führen.

Ich kann mich auf ein gutes Kaderteam verlassen, das aus sieben langjährigen Mitarbeitern besteht. Da wir transparent über die Zahlen jedes Betriebs informieren und alle Angestellten am Erfolg beteiligen, fühlt sich hier jeder als Unternehmer. Das zahlt sich aus, für alle. So können Servicemitarbeiter bei herausragender Leistung über 9000 Franken im Monat verdienen. Und jeder einzelne sieht, was er zum grossen Ganzen beisteuert.


10. August 2013